Leben und leben lassen
Bild/Illu/Video: Mayur Gala

Leben und leben lassen

Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, wie es sein muss, wenn man sich in seinem eigenen Körper fremd fühlt. Doch die Zeilen, die Nemo kürzlich publiziert hat, lassen mich erahnen, welch schwierigen Weg zu sich selber der 24-Jährige gehen musste. «Die Art und Weise, wie die meisten Menschen mich wahrnahmen, stimmte nicht mit meinem wahren Selbst überein», schreibt Nemo. Dank anderer Personen aus der LGBTQIA+-Community wurde die non-binäre Geschlechteridentität klar. «Das war die befreiendste Erfahrung meines Lebens», sagt Nemo.

Mut zur Veränderung
Die Reaktionen auf sein Bekenntnis zu sich selbst liessen nicht lange auf sich warten. «Und ich fühle mich als Microwelle.», «Und wieder wird Bekloppten eine Bühne geboten.», oder «Nennen wir es Tier.» sind dabei noch eher die netteren Kommentare, die im Netz auf den Künstler einprasseln. Versteckt hinter Pseudonymen scheint vielen Personen der Anstand abhanden zu kommen und viele münzen ihr Unverständnis in blanken Hass um, was mich ziemlich traurig stimmt. Auch ich hatte vor ein paar Jahren null Berührungspunkte mit dieser Welt und könnte mich heute noch ohrfeigen dafür, wie oft ich «schwul» als Schimpfwort benutzt und Witze über Homosexuelle gemacht habe. Doch die Zeiten haben sich geändert, und ich habe die Chance erhalten, mehr Verständnis aufzubauen. Inzwischen darf ich mehrere Personen aus dieser Gemeinschaft zu meinem Freundeskreis zählen, die mein Leben zudem sehr bereichern. Deshalb empfinde ich den ganzen Spott bei solchen Geschichten völlig überflüssig.

Was wäre wenn?
Ich stelle mir bei diesen Hasstiraden immer vor, wie es für die Verfasser wäre, wenn beispielsweise die eigene Tochter plötzlich mit einer Freundin nach Hause käme oder der Sohn herausfände, dass ihm Männer mehr zusagen. Es ist für mich nur schwer vorstellbar, dass man wegen der sexuellen Orientierung sein eigenes Kind nicht mehr gerne hat oder sogar verstösst. Dass unsere Kinder glücklich sind, ist doch eigentlich eine der wichtigsten Aufgaben, die man als Elternteil leisten kann. Darum ist es durchaus hilfreich hin und wieder dieses durchaus mögliche Szenario durchzuspielen, bevor hasserfüllt in die Tasten gehauen wird.

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