Kaufmann mit Herbstsoundtrack
Der erste Vorabtrack der Veröffentlichung mit dem Titel «Blau» ist eine rockige Angelegenheit, bei der das harte und doch ziemlich einprägsame Gitarrenriff sofort heftig reinhaut. Die lang gezogenen Noten von Reto’s Gesang triefen vor Sehnsucht und geben der Nummer ein starkes Wasserzeichen und einen ehrlichen Klang. Interessant, wie er es schafft, etwas Lokalpatriotismus mit dem «Fontanapark» in die Nummer einfliessen zu lassen. Ähnlich wie beim Hit «Lisa» stimmt auch hier so einiges: Das Zusammenspiel der Jungs, geschult durch unzählige Gigs, der Refrain, der sofort zum Mitsingen einlädt und ein Thema, welches sicher einigen direkt aus der Seele spricht. So klingt ein Hit der es schafft, in der aktuellen kalten Zeit etwas Wärme zu spenden, denn «Blau isch a warmi Farb!»
Der Rhythmus des nächsten Chansons «So müad» ist spannend gestaltet mit den ganzen Triolen. Voller Melancholie und reich an Metaphern erzählt Reto, wie wenig an einem grauen Tag bei ihm geht. Selten habe ich ein so authentisches, ehrliches und auch ungeschöntes Werk gehört, wenn es um das Thema Depressionen geht. Es fährt einem als Hörer mächtig unter die Haut, wenn Kaufmann gegen Schluss schreiend die Frage stellt: «Wieso bin i so?» Sowas braucht Mut, denn der Frontmann lässt hier ziemlich tief blicken.
«Norwegischi Chrona» war der erste Track, den ich überhaupt jemals von der Band Kaufmann gehört habe. Die damals noch recht kleine und unbekannte Ballade ist innerhalb von wenigen Jahren unglaublich gewachsen und hat nichts an Poesie verloren. In der Liveversion am Openair St. Gallen zeigt sich, wie tight die Band bestehend aus Manuel Riederer, Gijs Marks und Raphael Leu live ist. Ihr Spiel ist eine echte Wucht. Hoffentlich werden sie noch viele Jahre die Musikszene Graubünden auf den Bühnen der Schweiz repräsentieren. Der Song geht in dieser Version ziemlich tief ins Herz und wenn es damals noch nicht geregnet hätte, wäre das der perfekte Moment dafür gewesen, dass der Himmel die Melancholie des Liedes mit ein paar Tropfen zusätzlich unterstreicht.
Der Epos «König vu dr Nacht», der auch Titellied des Debütalbums ist, malt Bilder einer Nacht in der Bündner Hauptstadt, wie es nur Reto Kaufmann kann. Das ist ziemlich viel Werbung für Chur und ein Höhepunkt, für den man sich gerne beim Zuhören über acht Minuten Zeit nimmt. Ich denke, dieses Lied bildete den Abschluss des Sets am Openair St. Gallen und hat deshalb auch viel Platz für ein episches Gitarrensolo gelassen, welches hier ziemlich schön eingefangen und für die Nachwelt konserviert wurde. Sehr cool!
Schlussfazit:
«Dr Chüalschrank isch leer» ist der dringende musikalische Nachschub, den die stetig wachsende Fangemeinde von Kaufmann unbedingt gebraucht hat. Die zwei neuen Songs «Blau» und «So müad» lassen tief blicken und gehen genau deshalb auch tief unter die Haut. Die beiden Livetracks sind ein Zeugnis dafür, dass die Churer Jungs einfach auf die grossen Bühnen gehören, da sie es als verschworene Gemeinschaft jeweils im Handumdrehen schaffen, die Massen zu begeistern. So klingt authentischer, von Hand gemachter Mundartrock mit viel Eigenständigkeit, was definitiv Lust auf mehr macht!