Gemeinsam grenzenlos unterwegs
Es war Anfang 2018 als mir die Arbeitskollegin meiner Frau Raffaela Gruber von dem Experiment «World on wheels» erzählte. Ich war sofort fasziniert von der tollen Geschichte, verpasste leider den Vortrag bei der Würth und schaffte es erst kürzlich auf das Heimspiel von Markus Böni an den Vortrag in Romanshorn. Im Kino Roxy zeigten die beiden Herren atemberaubende Bilder, erzählten witzige Anekdoten von ihrer Reise und feierten ihre Männerfreundschaft. Die beiden Fotografen Thomas und Markus hatten sich gefunden und scheinen durch das gemeinsam erlebte Abenteuer für immer freundschaftlich miteinander verbunden zu sein. Nach dem Vortrag, welcher gespickt mit viel Wortwitz über die Bühne ging, nahmen sich die zwei Freunde und ihre Mitreisende Raffaela Zeit für ein Interview, wobei erwähnenswert ist, dass die Letztgenannte vor allem durch übereinstimmendes Nicken Fragen beantwortete.
Ich mache dies sonst nie, nochmals speziell darauf hinzuweisen, aber beim heutigen Fall lohnt sich ein Stöbern in der Slideshow, wie wahrscheinlich selten zuvor. ;-)
Hier geht’s zum Interview:
Wie seid ihr auf die Idee gekommen gemeinsam eine solche Reise zu unternehmen?
Markus Böni: Bei mir persönlich hat es dadurch angefangen, dass mein Sohn in Kanada einen Sprachaufenthalt gemacht hat. Aus diesem Grund besuchte ich ihn dort und war bereits schon in der Ortschaft White Horse. Ich wusste, alleine kann ich hier oben nicht viel machen, denn es braucht trotzdem Hilfe. Danach war es immer ein wenig mein Traum nach Kanada zurück zu kehren. Irgendwann lernte ich durch Ken an einem Unihockeyturnier seinen Vater Thomi kennen. Ich fing dann ein wenig an damit zu erzählen und irgendwann aus einer Schnapsidee heraus kamen wir zum Schluss, dass dies doch echt noch etwas wäre. Thomas ist auch ein bisschen ein Fan von nördlichen Ländern und so entstand die ganze Geschichte. Wie gesagt, für mich war es einfach wichtig, wenn ich an einen solch exotischen Ort für einen Rollstuhlfahrer hinreise, dass ich auch darüber berichten und zeitgleich aufzeigen kann, dass es überhaupt möglich ist. Dies ist sicherlich auch ein wenig durch meinen Beruf bei der Pro Infirmis bedingt, wo es ja um Menschen mit Handicap geht. Es wird heute immer einfacher gereist und es ist alles stets top durchorganisiert. Diesen Dingen wollten wir entgegenwirken und zeigen, dass es auch ein wenig spontaner geht. Dass das Projekt nachher eine solche Länge annimmt, hätten wir selbst niemals gedacht. Es ist einfach Schritt für Schritt gewachsen.
Das heisst, ihr wolltet nie an einen Strand?
Markus Böni: Für mich war es schon immer Kanada oder etwas in diesem Stil. Ich bin nicht so der Strandtyp. Ich kann zwar nicht für meine beiden «Gspönnli» sprechen, aber ich kann nicht an einen Strand liegen, bei mir muss immer was los sein.
Thomas Gruber: Irgendwie ist die Richtung der Reise auch durch das Fotografieren entstanden. Die Chance einen Bären vor die Linse zu kriegen, ist eben eher in Kanada gegeben als am Strand. Eine Landschaft, bei der kein Strommasten im Weg steht, gibt es eben eher dort als an anderen Orten. Eigentlich hat Markus jemanden gesucht, der ihn begleiten würde und dann war es relativ schnell klar. Nach dem ja von seiner Frau Ursula, haben wir unterschrieben. (lacht)
Habt ihr euch schon gekannt, bevor du im Rollstuhlgänger warst? Oder ist eure Freundschaft durch Ken entstanden?
Markus Böni: Thomas’ Sohn Ken lernte ich an Sportturnieren kennen und so kamen wir miteinander in Kontakt.
Thomas Gruber: Wir sind dann mit an die Unihockeyturniere und wie es dann eben so ist, man spricht mit den anderen Zuschauern… Ich weiss nicht einmal genau, wo das unsere Freundschaft enger geworden ist…
Markus Böni: Es ist etwas, das gewachsen ist mit der Zeit. Aber unser gemeinsames Hobby das Fotografieren hat ein wenig das Eis gebrochen. Er hat jeweils an den Turnieren fotografiert, worauf wir rasch ins Gespräch kamen und uns austauschten.
Thomas Gruber: Ja, genau so war das. Ich denke, wir kennen uns inzwischen seit gut sechs Jahren.
Ihr sagt, dass das Fotografieren eure grosse Leidenschaft ist. Wer von euch ist denn der Bessere hinter der Kamera?
Thomas Gruber: Beide gleich.
Markus Böni: Thomi ist definitiv besser. Er hat viel mehr Erfahrung beim Fotografieren als ich. Da müssen wir gar nicht darüber diskutieren, da er definitiv besser ist als ich.
Hattet ihr beide einen solch grossen Fotorucksack mit dabei?
Markus Böni: Ja. Wir hatten alles doppelt, denn wir konnten nie so genau wissen, wann vielleicht etwas ausfällt – was ja dann tatsächlich auch passiert ist; eine Drohne flog plötzlich gar nicht mehr. Wir hatten vier Kameras dabei, jedes Objektiv doppelt, also wirklich alles in zweifacher Ausführung.
Wie viele Fotos habt ihr insgesamt geschossen?
Markus Böni: Schlussendlich waren wir bei 5000 bis 8000 Fotos…
Thomas Gruber: Ja, so ganz am Anfang. Die ersten Fotos sortierst du dann jeweils noch in den Ferien. Im Prinzip bin ich immer noch am Sortieren, aber es hat schon einige gegeben.
Ihr habt bei der Reise alles selbst bezahlt. Was war euer Antrieb ein solch grosses Projekt anzureissen? Ist es wegen der Signalwirkung?
Markus Böni: Anfangs war nicht einmal ein Vortrag geplant. Doch dann hat das Haus Würth angefragt, ob wir für so etwas zu haben seien. Wir wussten gar nicht, was uns bei diesem Projekt erwartet.
Thomas Gruber: Am bequemsten gehst du mit einem Rollstuhlfahrer auf ein Kreuzfahrtschiff. Dort kannst du ihn von Deck zu Deck schieben. Rauf kann er mit dem Lift und wenn Ausflüge sind, bleibst du mit ihm auf dem Schiff, weil es nicht anders geht und so weiter. Wir wollten mit dem Projekt aufzeigen, dass man auch etwas Individuelles, vielleicht sogar ein wenig Verrücktes in einer Randregion auch unternehmen kann. Es geht darum zum Aufzeigen, dass ein Rollstuhlfahrer nicht nur auf einer Kreuzfahrt Ferien machen kann. Es gibt nämlich diverse Alternativen.
Thomas, du hast beim Vortrag erwähnt, dass ihr ihn nicht nur einfach mitgenommen und irgendwo hingestellt habt, sondern dass ihr ihn ins Geschehen integriert habt… Was mir auch sehr gut gefallen hat, war die Aussage, dass ihr das Projekt nicht «für ihn» sondern «mit ihm» realisiert habt.
Markus, wie ist das für dich, dass zwei Personen zu dir kommen und Lust haben mit dir so ein Projekt durchzuziehen?
Markus Böni: Das ist natürlich super. Wie es Thomi bereits erwähnt hat, im Vordergrund oder im Zentrum des Ganzen stand nie meine Behinderung, sondern immer die Reise, das Bewegen und die Freude am Reisen. Alles andere war eher nebenbei ein Thema. Als ich Hilfe gebraucht habe, waren sie da für mich, aber es war nie so, dass wir extrem auf mein Handicap Acht geben mussten. Dort, wo es gepasst hat, hat es gepasst und dort wo es Hindernisse gab, musste ich nicht mal was sagen und es wurde mir sofort von allen Seiten her geholfen. Das war wirklich schön. Ich sage es ein wenig überspitzt, ich bin mir nicht behindert auf dieser Reise vorgekommen. Ich war als «normaler» Mensch, als Markus dort unterwegs. So sollte eigentlich auch unsere Gesellschaft funktionieren. Doch an diesem Punkt sind wir leider noch nicht. Das ist auch etwas, was wir mit unserem Vortrag vermitteln wollen: So lange wir noch über Behinderungen reden müssen, stimmt etwas nicht. Wenn wir nicht mehr über Behinderungen reden müssen, weil es alltäglich ist in der Gesellschaft, dann haben wir das Ziel erreicht.
Wie freundlich gegenüber Menschen mit Behinderungen sind die Leute in Kanada und Amerika?
Markus Böni: Die Nordamerikaner sind wahnsinnig tolerant. Bei der gesellschaftlichen Integration von jeglicher Art von Behinderungen sind sie einfach viel weiter als wir. Da sind wir in der Schweiz schon klar im Rückstand.
Wäre es in einer Grossstadt wie New York eventuell ein wenig anders gewesen?
Markus Böni: Das denke ich schon auch. In solchen Ländern funktioniert noch extrem viel über Nachbarschaftshilfe. Das würde sonst nicht funktionieren. Da braucht es einfach Nachbarn, die einander helfen und im Extremfall für einander 400 Kilometer fahren um einzukaufen. Früher war es bei uns sicher ähnlich. Ich war ja zwei Jahre zuvor schon mal in White Horse und bin dort eine kurze Strecke von 200 Metern zum nächsten Geschäft mit dem Rollstuhl gefahren. Auf dem Weg dorthin haben zwei Autos angehalten und mich gefragt, ob sich mich mitnehmen sollen, was die Hilfsbereitschaft der Leute sehr gut aufzeigt.
Bei dem Vortrag ist es mir fast ein wenig so vorgekommen, dass du den Trip fast auch alleine meistern hättest können oder täuscht das, Markus?
Markus Böni: Mein erster Gedanke, als ich zum ersten Mal dort oben war, ist schon gewesen, ob ich es eventuell alleine bewerkstelligen könnte. Warum ich mich dagegen entschieden habe, hat eigentlich zwei Gründe: Das Veto meiner Frau und für den Fall der Fälle, wenn etwas passiert wäre, wie beispielsweise ein platter Reifen; ich hätte keine Chance den alleine zu wechseln. Ausserdem zu dieser Jahreszeit sind wir im Tag nur gerade vier/fünf Autos begegnet und wann du dann etwas hast und alleine bist, dann bist du wirklich am A. Und drum habe ich meine Solopläne auf die Seite gelegt, denn das Risiko war definitiv zu gross alleine zu gehen. Wir hatten extremes Glück, dass wir auf diesen Strassen keinen Schaden hatten. Normalerweise machst du den Dempster Highway nicht ohne einen Defekt, wie eine Reifenpanne, eine kaputte Scheibe oder andere Schäden. Drum darfst du auf dieser Strasse auch nie ohne Proviant unterwegs sein. Wir hatten hinten immer genügend Wasser und Essen dabei, da man nie wissen kann.
Ihr habt gesagt, dass man im Leben ruhig auch ein bisschen mutiger sein sollte. Wie meint ihr das?
Markus Böni: Wenn du einen Traum hast und daran zweifelst, dass du ihn dir nicht erfüllen kannst, ist das der total falsche Ansatz. Träume müssen gelebt werden, weil du weisst nicht ob du ihn dir am nächsten Tag überhaupt noch erfüllen kannst. Dass wir alle ein wenig bequem geworden sind, ist ein gesellschaftliches Problem. Gruppenreisen und All Inklusiv-Ferien, bei denen alles organisiert ist, geben einem einfach nicht das gleiche Erlebnis. Wenn du dir selber etwas erarbeitest, bist du stolzer darauf, als wenn es dir vorproduziert kaufst. So ist es für mich auch mit den Reisen. Wenn du individuell dahinter gehst, kannst du sie so gestalten, wie du sie gerne hättest. In der Gruppe bist du dabei und fliesst mit, so wie wir es gemacht haben, fühlt man sich freier.
Thomas Gruber: Ich habe auch so ein Kollege, der x-mal ans gleiche Ort in die Ferien fliegt. Unter dem Strich kommt es eigentlich darauf an, dass wenn du es gemacht hast, dass es cool gewesen ist und nicht, dass du etwas machst, damit du es gemacht hast. Ich bin jetzt absolut nicht der Typ, der zehn Prozent Rabatt kriegt, weil er seit zehn Jahren immer im gleichen Hotel zu Gast ist. Für mich ist es nur schon spannend, wo das Hotel ist, wie es aussieht, wie man dort hinkommt und wo der Speisesaal ist… Das sind für mich Ferien. Auch bei dieser Reise habe ich mir 100'000 Gedanken gemacht über den Scheiss-Dempster. Der lag mir fast ein wenig auf dem Magen. Aber wenn du den nachher bestanden hast, das ist richtig cool!
Markus Böni: Genau. Es braucht nicht nur Mut, sondern auch Ehrfurcht vor solchen Reisen. Da muss man die Balance halten. Auf der einen Seite braucht es Mut, so etwas zu machen, auf der anderen Seite darf man nicht ins Übermutige gehen, weil es dann auch problematisch werden könnte. Wenn ich jetzt beispielsweise alleine gegangen wäre, wäre das eben dieser Übermut gewesen. Man muss realistisch sein und Demut vor solchen Dingen haben.
Thomas Gruber: Weisst du, bei uns liegt es wahrscheinlich an anderen Gründen irgendwo hinzugehen oder nicht. Bei Markus ist das sicher anders. Viele Leute sagen schon, dass das Fliegen ein zu grosser Aufwand ist. Es ist wirklich nicht so einfach, weil man vieles organisieren muss. Du hast Übergepäck, wenn du mit 200 Kilo an den Schalter kommst, entstehen immer wieder skurille Situationen. Das ganze Organisieren muss man eben auch wollen und vor dem schrecken viele zurück. Wir versuchen dann immer dahingehend zu vermitteln, dass sie auf ein Reisebüro gehen können und ihnen dort sehr gut geholfen wird.
Sind die Reisebüro gut gerüstet für solche Fälle?
Markus Böni: Ja, auf jeden Fall. Vielleicht hat die eine oder andere Beraterin etwas Respekt, wenn sie noch nie etwas in dem Stil gebucht hat, aber in der Regel geht das alles sehr gut. So eine etwas anspruchvollere Reise zu buchen, bereichert auch immer den Erfahrungsschatz. Die Gegenspieler sind da die ganzen Internetbuchungsferien. Dort kannst du das nicht wirklich gut anmelden. Dort funktioniert sowas nicht. Für mich ist es auch ein Teil der Reise auf ein Reisebüro zu gehen und mich beraten zu lassen, denn Vorfreude ist die schönste Freude.
Mehr Infos zur Reise von Markus Böni, Thomas und Raffaela Gruber findet ihr auf ihrer Webseite.