«Der Mitbewohner»
Flavio wusste im ersten Moment nicht wohin. An jenem Tag stritt er mit seinen Eltern so schlimm, dass er sich entschloss fortzugehen. Er fühlte sich zuhause nicht mehr willkommen. Er war einundzwanzig Jahre alt, hatte gerade die Lehre zum Mechaniker abgeschlossen und war nun auf der Suche nach einer Stelle. Was sollte er bloss tun? Wohin sollte er gehen? Seine einzige Rettung schien seine gute Freundin Saskia zu sein. Er kannte sie von früher. Saskia war zwei Jahre älter und lebte in ihrer eigenen Wohnung. Hoffentlich war die Freundschaft eng genug, dass sie ihm Asyl gewähren würde. Er wollte es versuchen.
Mit all seinem Hab und Gut machte er sich auf. Einem Rucksack voll Kleider, seinem Laptop und einigen Dokumenten. Saskia wohnte am anderen Ende der Stadt, und da er zurzeit nicht sehr liquide war, musste er den Weg zu Fuss gehen. Das machte ihm erstaunlicherweise nichts aus. Auch wenn der Rucksack drückte, weil er schwer war, genoss Flavio den Weg. Er war frei, konnte endlich seine Eltern hinter sich lassen. Eigentlich war es eine gute Entscheidung einfach fortzugehen. Es war mutig von ihm einfach seine Sachen zu packen und zu gehen. Er war stolz auf sich. Es war ein kühler Wintertag. Fest in seine Jacke gepackt, marschierte er. Er marschierte der Freiheit entgegen. Stunden später war er bei Saskia angekommen, verschnaufte kurz und klopfte dann zaghaft an die Türe. Er wollte es nicht versauen.
Sie war nicht zuhause. Er beschloss zu warten, bis sie nach Hause kam. Irgendwann wurde es dunkel und er schlief, müde wie er war, an der Haustüre sitzend ein. Endlich kam sie nach Hause. Er wurde wach. Sie fragte ihn was los sei, er erzählte ihr die ganze Geschichte und fragte sie, ob er einige Tage bei ihr übernachten dürfe. Natürlich entgegnete sie. Wie er später erfuhr war sie froh um etwas Gesellschaft. Sie hatte sich erst einige Wochen zuvor von ihrem langjährigen Freund getrennt und war seitdem allein.
Flavio duschte, zog sich frische Kleidung an und setzte sich dann gemeinsam mit seiner Freundin an den Tisch. Wie nahe sie sich doch einmal waren. Früher war es mehr als Freundschaft. Doch ihre Wege hatten sich getrennt. Wie froh war er nun, dass es sie gab. Er schwor sich, sich dafür zu revanchieren, wie auch immer. Sie schwatzen den ganzen Abend über dieses und jenes. Holten vergangenes nach. Sie waren sich wieder nahe. Saskia sah ihm tief in die Augen, er wusste was sie von ihm wollte, doch heute war zu müde dafür. Sie war eine Weltschönheit. Eine Traumfrau für jeden Mann. Auch vom Charakter her, einzig der Charakter zählt, war sie eine großartige Freundin. Zum Dank für alles umarmten sie sich lange.
Flavio legte sich auf das Gästebett und schlief sogleich ein. Mitten in der Nacht wurde er wach. Saskia hatte sich zu ihm ins Bett gelegt. Sie suchte seine Nähe. Wie war er doch froh um eine solche Freundin. Nach allem was heute geschehen war, war sie bei weitem das Beste. Eng umschlungen schliefen die beiden ein.
Am nächsten Morgen liebten sie sich. Holten nach, wozu sie beide letzte Nacht zu müde waren. Duschten gemeinsam. Saskia nahm den Tag frei. Gemeinsam assen sie im nächsten Café zu morgen und unternahmen danach einen ausführlichen Spaziergang durch den Stadtpark am See. Er war so glücklich wie schon lange nicht mehr. Er fühlte sich imstande alles erreichen zu können. Und als er dachte, der Tag könne nicht mehr besser werden, erhielt er ein Jobangebot von Mercedes, der Unternehmung, bei welcher er schon immer arbeiten wollte.
Das war eindeutig der beste Tag in seinem Leben! Alles nur weil er etwas gewagt hatte. Ein Hoch darauf, dass weitere solche Tage folgen würden, für Flavio und Saskia sowie für uns Lesende!