Der doppelte Borgia
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Der doppelte Borgia

Man kann Drehbuchautoren nicht grundsätzlich vorwerfen, einfallslos zu sein. Dennoch bedienen sich inzwischen amerikanische Produktionsfirmen bei skandinavischen Vorlagen, europäischer Stoff findet sich in einer Adaption auf der anderen Seite des Atlantiks. Der Grund ist einfach: Es muss immer mehr produziert werden in Zeiten der Streamingdienste.


Ein Beispiel dafür ist die Krimiserie «Die Brücke - Transit in den Tod», eine Koproduktion von Dänemark, Schweden und Deutschland. Offenbar hat man in den USA mitgekriegt, dass das Konzept - Leiche wird auf einer Grenzbrücke gefunden, Polizisten verschiedener Nationen müssen zusammenarbeiten - beim Publikum funktioniert. Prompt entstand «The Bridge», das nah am Original die Story an die Grenze zwischen den USA und Mexiko verlegt. Beides funktionierte in den Zielmärkten bestens. Besonders schön aber: Solche Adaptionen sind ein Tummelfeld für Leute, die gerne verschiedene Qulturen vergleichen. Wie wird dieselbe Geschichte in einem anderen Qulturkreis umgesetzt, was funktioniert überall, was muss anders erzählt werden?


Borgia oder Borgias

Besonders schön lässt sich das an einer Premiere sehen: Zwei TV-Serien, die um 2011 zeitgleich auf den Markt kamen - mit derselben Story. Es geht um die im Mittelalter in Italien mächtige Familie Borgia, deren Oberhaupt Papst Alexander VI. war. ZDF und ORF realisierten gemeinsam «Borgia», in den USA entstand «The Borgias». Dank dem Aufkommen einer Vielzahl von Streamingdiensten sind beide nach wie vor aktuell.


«The Borgias» war wohl nicht zuletzt dank der Besetzung von Jeremy Irons in der Hauptrolle ein Hit und gehörte von Anfang an zu den bestgesehenen Produktionen des Streaminganbieters Showtime. Die deutschsprachige Version hatte hingegen eine eher wechselvolle Geschichte. Die ersten beiden Staffeln verzeichneten schlechte Zuschauerquoten, eine dritte war bereits abgedreht, wurde dann aber - ziemlich bemerkenswert - weder auf ZDF noch auf ORF gezeigt. Man wollte es den Leuten wohl nicht mehr antun. Wer wissen wollte, wie das Ganze ausgeht, musste zu Amazon gehen - und bezahlen.


Zu lehrerhaft

Wer beide Adaptionen schaut, der ahnt, weshalb es so gekommen ist. Schon der Einstieg in die ZDF/ORF-Koproduktion wirkt wie ein Lehrfilm übers Mittelalter. Vermutlich ist «Borgia» dank deutscher Gründlichkeit in den Details historisch authentischer als «The Borgias», aber das kümmert das TV-Publikum selten. «Borgia» ist nicht schlecht gemacht, aber wer zuerst das Konkurrenzprodukt gesehen hat, der empfindet die Serie als eine Film gewordene historische Chronik. Und das, obwohl die deutschsprachige Version viel stärker auf nackte Haut und Gewalt setzt als das amerikanische Gegenüber. Spritzendes Blut ist kein Garant für Zuschauerinteresse.

Am Geld lags übrigens nicht. ZDF und ORF steckten jeweils zwischen 25 und 30 Millionen Euro in eine Staffel, für «The Borgias» waren es rund 40 Millionen Dollar. Der Kardinalsfehler von «Borgia» war es wohl, nicht einmal für die Titelfigur auf einen bekannten Schauspieler zu setzen. Köpfe verkaufen eben immer noch am besten.

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