Copy/Paste in veredelter Form
Bild/Illu/Video: Sandra Peters

Copy/Paste in veredelter Form

Nein, es gibt keinen Mangel an geschriebenem Wort. Auch nicht an gedrucktem. Im Gegenteil, es wird nach wie vor publiziert, was das Zeug hält. Romane, Sachbücher, Kinderbücher: Wenn jemand Angst hat, dass Bücher angesichts von Bits und Bytes verschwinden, soll er die Regale eines Bücherladens durchwühlen und das Erscheinungsdatum prüfen. Es wurde nie so viel geschrieben und auf Papier veröffentlicht wie im Kindle-Zeitalter.


Potter im Quadrat

So viel zur Quantität. Und wie steht es mit der Qualität? Schwer zu sagen. Wer die prüfen will, muss sich zuerst durch den Wust an Billigware wühlen. Und damit meine ich nicht einmal wirklich schlechte Bücher. Ich meine Bücher, die möglicherweise gut geschrieben und spannend sind, denen aber ein etwas sehr schlichtes Marketingkonzept zugrunde liegt. Ganz konkret meine ich diese Tonnen an Papier, die sich einfach an Harry Potter, den drei Fragezeichen und noch zwei oder drei weiteren Vorbildern anlehnen.

Seit J.K. Rowling ihren Zauberlehrling zur Schule schickte, weiss jeder zweitklassige Autor auf dieser Welt: Magie zieht. Also nehme ich doch einfach auch ein Kind, einen Besen und eine Schule, wenn meine eigenen Ideen keine Kasse machen. Das muss reichen. Neue Ideen? Ein neuer Ansatz? Ein Hauch von Originalität? Wozu denn auch. Hauptsache, es wird gezaubert und zur Schule gegangen. Denn Harry Potter ist tot (rein romanmässig natürlich nur), also lechzt die Welt nach demselben in Grün. Oder Gelb. Oder Rot. Einfach eben ähnlich. Ganz im Ernst: Zauberschulbücher gibt es inzwischen tausendfach. Langweilig ist der Vorname.


Unverkennbare Inspiration

Und es geht in diesem Stil weiter. Die Jugendbuchregale in Bücherläden sind vollgestopft mit Copycats von grandiosen Ideen einzelner Autoren. Jugendbanden lösen Rätsel, wie sie es in meiner Kindheit schon taten. TKKG und eben die drei Fragezeichen feiern Wiederauferstehung unter anderem Namen, aber ansonsten weitgehend identisch. Drachen werden literarisch breitgewalzt, denn Michael Ende, der dem Drachen in der Jugendliteratur ein Gesicht gab, ist schon lange tot und kann sich nicht mehr wehren. Freche Mädchen bevölkern die Gestelle, unverkennbar inspiriert von Astrid Lindgren. Es ist Copy/Paste auf hohem Niveau: Nicht einfach abgeschrieben, aber hemmungslos imitiert.


Das ist ja irgendwie in Ordnung. Das völlig Neue hat Seltenheitswert, auch in der Literatur für Erwachsene. Nur leider findet man vor lauter Potter-Verschnitten die echten Perlen nicht mehr. Die gibt es ohne Frage, nur fehlt der Kompass. Man kann nun sagen: Was solls, das stört nur alte weisse Männer wie mich, den Kindern gefällts. Aber ganz offen: Ich habe einige der Machwerke angelesen, und wenn es beispielsweise um Zauberschulen geht, kann keiner der Frau Rowling das Wasser reichen. Ich merke das, weil ich früher Potter verschlungen habe. Die Kinder, die den guten Harry noch nicht kennen, haben zwar keinen Vergleich, aber sie erhalten dennoch die schlechte Kopie statt des guten Originals, wenn sie «falsch» wählen. Und ich serviere meinen Kindern gern Qualität.


Es gibt einen Lichtblick am Horizont. Er heisst David Walliams. Die eine Hälfte des britischen Kultduos, das die grandiose TV-Serie «Litte Britain» realisiert hat, schreibt seit einigen Jahren Kinderbücher. Die sind wunderbar anders. Herrlich politisch unkorrekt, frech, authentisch. Er zeigt, dass man nicht einfach vorhandene Erfolgsrezepte imitieren muss, um erfolgreich zu sein.


Aber an der Kasse hat er bei uns zulande einen schweren Stand gegen die Billigzauberschulen aus der Schreibfabrik.

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