Ein Fest der Sinne im Flavour’s
Es war einmal an einem milden Spätsommerabend in der Bündner Hauptstadt. Relativ spontan hatte ich mich dazu entschieden wieder mal einer Einladung Folge zu leisten und an einem qulturellen Event in Graubünden teilzunehmen. So schlenderte ich kurz vor acht Uhr vom Coop Quader-Parkhaus in Richtung Flavour’s. Ich war selbst noch nie in diesem Lokal und doch erwachten nostalgische Gefühle in mir, als ich nach dem Kreisel in diese Seitengasse einbog. Denn vis-à-vis von meinem Ziel stand das Hotel Drei Könige, wo ich mit den Bands Crossbones und Virus of the Cactus erinnerungswürdige Konzerte gegeben habe. Dies ist alles schon ein halbes Leben her, aber es wird mir immer ganz warm ums Herz, wenn ich an diese Auftritte an den «Festa dal Cor Rumantsch» zurückdenke.
Pandemische Sinnestäuschungen
Vor dem Flavour’s standen bereits einige Interessierte an. Bei diesem Anblick dachte ich mir, dass Corona nun auch noch dieses Foodfestival in die Schranken gewiesen hatte, denn der Türsteher trug eine Schutzmaske, die Sicherheitsabstände zwischen den Anstehenden wurden penibel eingehalten und auch sonst wurde der Einlass nur sehr stockend gewährt. Doch als ich dann nach gut einer Viertelstunde eintrat ins Restaurant wurde mir bewusst, dass ich die Einladung wohl falsch interpretiert hatte und dass das «Ess riecht» eben nicht ein klassisches Foodfestival ist, wie es aktuell vorne auf dem Theaterplatz aufgeführt wird. Auch der langsame Einlass von je maximal zwei Personen ist nicht wegen der Pandemie, sondern viel mehr dem Konzept geschuldet.
Lust, gefüttert zu werden?
Im ersten Zimmer der Sinnperformance sass eine ältere Frau. Ihre Aura schuf bei mir eine wohlige Nähe und ein schwer zu erklärendes Vertrauen, welches ich oft bei Personen mit immenser Lebenserfahrung habe. Auf ihrem Tisch stand ein grosses Stück Parmesan-Käse und eine Schale mit Sauce. Im ersten Augenblick war ich massiv überfordert, da ich durch die Fehlinterpretation des Flyers eigentlich dachte, ich würde auf ein klassisches Buffet und viele Mitessende treffen. Doch die Frau bat mich mit sanften Gesten und ohne Worte Platz zu nehmen und zu entspannen. Ich setzte mich und suchte vergeblich nach einem Teller und Besteck. Die Frau, die ich noch nie zuvor gesehen hatte, streckte mir dann eine Gabel mit Essen entgegen und ich degustierte ihre Kreation. Irgendwie fühlte ich mich sehr unwohl in dieser Situation, da mich das «Gefüttert werden» in gewissem Masse hilfsbedürftig werden liess. Obwohl der Parmesan und auch die Sauce darauf köstlich war, wollte ich diese unangenehme Situation am liebsten fluchtartig verlassen. Doch als ich aufstehen wollte, wurde mir signalisiert, dass ich noch ein wenig Geduld haben sollte, da meine Vorgänger noch nicht soweit seien.
Lust in die Zukunft zu blicken?
Der Druck löste sich von meinen Schultern, als ich ins nächste Zimmer kam. Dort wartete ebenfalls eine stumme Frau vor einem Kühlschrank voller Köstlichkeiten aus Fleisch, einem langen Spiegel, einem Glas auf einem Tisch, sowie zwei Lampen, welche von der Decke hingen. Auch hier wurde ich zum Warten animiert. Offeriert wurde ein Glas Champagner, aber irgendwie war ich nach dem Erlebnis zuvor noch nicht wirklich in Feierlaune. Nach einer Hand voll Minuten wurde das grüne Licht eingeschalten und ich nahm Platz auf einem überdimensional grossen Kronkorken. Auf dem grossen Sofa vor mir sass eine junge, attraktive Frau, die mit mir über mein Innenleben diskutieren wollte. Sie räkelte sich provokativ hin und her und die Atmosphäre in diesem Raum pendelte schnell zwischen Erotik und Esoterik hin und her. Ich sprach mit ihr darüber, dass ich nicht wirklich Fan von solchen «Gspürschmi-Fühlschmi-Geschichten» sei und sie deshalb bei mir nicht viele Antworten erwarten dürfe. Sie gab sich nach wenig Minuten damit zufrieden und liess mich weiterziehen. Ich verabschiedete mich dankend bei ihr und war immer noch ein wenig aufgewühlt, als ich aus dem üppig dekorierten Zimmer in den nächsten Raum schlenderte.
Lust auf ein wenig Nervenkitzel?
Dort war die Stimmung irgendwie unheimlich. Der Aufbau des Raums erinnerte mich ein wenig an den Film «The Shining». Ich stand in einem leeren Hotel, hörte aber, dass im Hintergrund mächtig geschuftet wurde. Auf der rechten Seite gab es eine Luke mit einer alten Glocke auf der Seite. Als ich diese läutete, blickte der Chefkoch hervor und servierte mir ein Dessert. Dieses konnte ich jetzt endlich mal geniessen, denn abgesehen von den Geräuschen aus der Küche war ich mit mir alleine. Ich liebe Horrorfilme und dann mal wirklich in einer ähnlichen Kulisse zu stehen und völlig cool und angstfrei ein Dessert zu schnabulieren, hatte doch irgendwie einen ganz speziellen Reiz.
Ein Geschmack, der alles einfängt
Im nächsten Raum wurde ein Kurzfilm gezeigt, in dem ich einen grossen Teil der bisher angetroffenen Personen nochmals sah. Die Protagonisten trafen sich da zum Festschmaus, bis der Koch alles über den Haufen warf und somit für einen Erstaunen bei seinen Kolleginnen und Kollegen sorgte. Im letzten dekorierten Raum stand dann noch eine Frau, die Parfüm auf ein Blatt Papier sprühte und es einem zum Riechen reichte. Als ich mit meiner Nase an dem Duft schnupperte, machte alles plötzlich Sinn. Die bisher erlebten Düfte und Eindrücke kamen alle zusammen in diesem Parfüm, welches man draussen erwerben konnte. Die Bestellungen konnte man auch beim Fahrer des stark rauchenden Autos abgeben. Ich hatte diesen kurz mit Reto Kaufmann verwechselt, weshalb ich ihn wohl einen Moment zu lang dumm angeschaut haben muss…
Ein Abend wie eine Sternschnuppe
Ein Restaurant, welches statt neuer Essensvariationen, bewusst auf andere Sinneseindrücke setzt und ein eigenes Parfüm lanciert, das hat an diesem Abend irgendwie niemand kommen gesehen. Auch sonst war die Sinnesreise vollgepackt mit Anekdoten, Köstlichkeiten und Eindrücken, die in jedem Besucher etwas anderes ausgelöst haben. Der kurzweilige Abend war für mich deshalb so einzigartig wie das Erblicken einer Sternschnuppe, weil ich selten so eine breite Palette an Emotionen durchlaufen bin an einer einzigen Veranstaltung. Ich war überrascht, verstört, aufgewühlt, hungrig, verängstigt, entspannt, zufrieden, befreit und am Schluss ganz glücklich darüber, dass ich der Einladung von Anne Sommer und dem Flavour’s-Team gefolgt bin. Solche Erlebnisse und Interaktionen mit Menschen sind in diesem Jahr definitiv zu kurz gekommen und ich hoffe schwer, dass die Pandemie den Kreativen den Mut nicht nimmt, solche Spektakel weiterhin auf die Beine zu stellen. Ich für meinen Teil geniesse solche Abende und die angeregten Diskussionen mit anderen Qulturschaffenden danach immer sehr.