Abschied vom Kunsthaus
Am 19. Juli hielt ich auf meinen Morgenseiten - das sind
drei handgeschriebene Seiten, die ich beim ersten Kaffee im Sinne der Écriture automatique verfasse, um mein
Unterbewusstsein zu leeren und mich für den Tag bereit zu machen - fest:
«Den ersten Tagen wohnt ein besonderer Zauber inne, alles ist noch möglich – und vielleicht schwingt auch immer ein bisschen die Unsicherheit mit, den richtigen Einstieg zu finden, damit auch alles so klappt, wie man sich das vorstellt, auch wenn man sich nicht viel vorstellt.»
Ich schrieb weiter: «Es ist schön, wenn plötzlich im Leben ein Zeitfenster aufgeht, sieben Wochen, in denen Überraschungen Platz haben, Wochen ausserhalb des Daily Business. Man lernt sich selbst besser kennen, betrachtet seine Gewohnheiten mit fremden Augen, Dinge, die man für selbstverständlich hält und nicht hinterfragt – wie man einkauft, Kaffee kocht, Informationen einholt, wie wach man ist und auf was man seine Wahrnehmung richtet.»
Auf das Unerwartete zu hoffen, ist natürlich ein paradoxes Unterfangen. Das Hoffen selbst ist der grösste Räuber der Gegenwart. Indem wir hoffen, verschliessen wir uns vor dem Erhofften.
In meinem Raum der Sätze, dem alten Handarbeitszimmer im zweiten Stock des Kunsthauses hinterliess ich unter anderem den Satz: «Ein Freund sagte mir: ‹Komm mir nicht mit Hoffnung›, also brachte ich ihm Buchstaben.»
Das Gestalten selbst führt einem ins Unverhoffte und das gilt auch für die Kunstbetrachtung; man muss nur hinschauen, wobei man beim Schauen nicht zu viel nachdenken sollte, denn der Zauber flieht vor dem Verstand.
Aber nicht jeder Gestaltungsimpuls führt zu einem Resultat. Nicht jedes Kunstwerk löst etwas in einem aus. Wir neigen dazu, in allem einen Nutzen zu sehen, gerade wenn wir so etwas Kostbares wie Zeit geschenkt bekommen. Eine Frevlerin, welche die Zeit nicht nutzt!
Unsere Midissage am 26. August stand unter dem Motto «Trialog». So hat der fremde Blick die Sicht aufs Eigene geschärft. Als Autorin interessierte mich neben den entstandenen Arbeiten wie meine Artist-in-Residence-Kollegin Kathrin Severin (kathrinseverin.ch) und – Kollege Marcel Bernet (marcelbernet.ch) sich inspirieren, mit welchem Engagement sie ihre Sache verfolgten und was sie geschehen liessen.
Einmal mehr wurde mir bewusst, dass das Geschehen-Lassen genau so viel Raum benötigt, wie das tatsächliche Engagement. «Loslassen» ist eine eigene Zeitqualität, die eben auch Raum braucht, leeren Raum, leere Stunden, einen Kaffee im «Kaffee Klatsch». Wenn immer möglich, meditiere ich morgens eine halbe Stunde. Während des absichtslosen Dasitzens präsentiert mir mein Geist oft die Lösung für die anstehenden Aufgaben. Diese Haltung mit in den Tag zu nehmen, der geprägt ist vom Druck, etwas zu erreichen, bleibt eine grosse Kunst.
Da ich mich immer noch in diesem luftigen Zustand zwischen zwei Orten und Zuständen befinde, fällt dieser Blog entsprechend vergeistigt aus. Auszüge aus dem entstandenen literarischen Kunsttagebuch sind im Kunsthaus Klosters im Raum der Sätze zu lesen und später als Adventskalender erhältlich.
Für die Ermöglichung der Möglichkeit des Unerwarteten möchte ich mich nochmals ganz herzlich bei der Steuergruppe des Kunsthaus Klosters, Annalies Walter, Christof Hegi und Marietta Kobald, der Projektleitung ENZYAN, Dana Pedemonte und Konrad Gruber, Christoph Luzi, Projektleiter des 800-Jahre-Jubliäums und der Gemeinde Klosters bedanken!
Nächste Woche geht es weiter mit Kunstbetrachtung aus dem Engadin…