Svenja Gansner – Die Faszination des Ambivalenten
Bild/Illu/Video: Bettina Gugger

Svenja Gansner – Die Faszination des Ambivalenten

Im traditionellen Walserhaus bezeichnete der Seelenbalken ein quadratischer Ausschnitt in der Wand von ca. zwanzig auf zwanzig Zentimeter, der dazu diente, die Seelen der Verstorbenen ziehen zu lassen, so die gängige historische Auffasssung. Sowie der Vorhang für die gelernte Polygrafin den Übergang vom zweidimensionalen Arbeiten in die Dreidimensionalität markiert, steht der Seelenbalken im traditionellen Sinn für den Übergang von der einen in die andere Welt.


Für Gansner mutet die Vorstellung, dass die Seele weiterzieht, jedoch naiv an, daher heisst es auch auf dem Vorhang: «Mached zua! Aber äs zücht no albig.» Gansner, die im zweiten Jahr an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel studiert, meint: «Die Seele hat für mich einen Eigenwillen. Sie ist kein kompaktes Ding, sondern kann auch in einzelnen Objekten stecken.»


Während drei Wochen realisierte sie in über 50 Druckvorgängen den Seelenbalken.


Ihr Medium passt die 24-jährige jeweils ihrer Aussage an. Diese Offenheit schätzt sie auch an ihrem Studium in Basel. Geprägt durch ihre Ausbildung hält das Grafische, in Wort und Form, immer wieder Einzug in ihre Arbeiten: «Ich habe einen Bücherfetisch», lacht sie, «ein Buch steht für mich für Wissen, über das man verfügt.»


Zurzeit beschäftigt sich die junge Künstlerin mit Abjekten. Die französische Philosophin Julia Kristeva prägte den Begriff. Sie bezeichnet damit eklige Dinge, die eine Faszination auf den Betrachter ausüben. Gansner beschäftigt die Frage, wie man etwas Hässliches ästhetisch darstellen kann. Das Spiel in der Kunst beschreibt sie auch mit den Worten: «Es ist da, aber nicht real.» Ein Beispiel dieses Nichtrealen ist ihre Skulptur «Hand» aus dem Jahr 2022. Sie zeigt eine Silikonhand, aus der scheinbar lange, menschliche Haare wachsen, befestigt an einer Wand, den Arm in einen Hemdärmel gehüllt.


Gansner schöpft aus Tabuthemen, aus den Dingen, worüber man nicht gerne spricht. Nach einem Atelierstipendium des Kantons Graubünden in Wien beschäftigte sie sich mit dem Thema Alzheimer, ausgelöst durch die Erkrankung ihrer Grossmutter. Sie erstellte aus Stellwänden einen temporären Raum und bemalte die Wände mit expressiven Farben, Zeichen, Fragezeichen, wilden Graffiti gleich, die sich überlagerten. So begegnete sie ihrer grössten Angst, der Angst vor dem Vergessen. «Diese Angst brachte mich dazu, Kunst zu machen. Ich will die persönlichen Momente festhalten und sie so vor dem Vergessen bewahren.», so Gansner. In der Krankheit sieht sie aber auch erfrischende Aspekte, die kindliche Freude und Lebenslust, die zu Beginn der Erkrankung noch präsent sind.


Im Moment ist Gansner wieder im Siebdruckatelier. Was sie genau bedruckt, sei an dieser Stelle noch nicht verraten. Es wird aber auf jeden Fall eine visuelle Grenzerfahrung werden…


Bildlegenden:

In über 50 Druckvorgängen entstand Svenja Gansners Arbeit «Dr Vorhang vom Seeläbalggä», die im Kunsthaus Klosters zu sehen ist. (Hauptbild)





































In «Hemmed» aus dem Jahr 2020 thematisierte Gansner die Alzheimerkrankheit.





































«Hand» spielt mit dem Zusammenspiel von Faszination und Ekel.

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