Wandern im Churer Rheintal
Von Untervaz bin ich zur Ruine Falkenstein gelaufen. Der Weg führt am Rhein entlang, unter der Autobahn hindurch auf die andere Talseite, wo das Dorf Zizers liegt. Und wie ich den Lärm der Autobahn ertragen musste, wurde mir wieder einmal der Lärm unserer Gesellschaft bewusst. Von dort aus, ging ich den Hang hinauf, bis ich am Waldrand angelangte. Die Sonne schien grell vom Himmel herab. Das Licht tauchte das ganze Tal in bezaubernde Farben. Von hier konnte ich bis nach Walenstadt, ja sogar die Churfirsten sehen. Die Vögel zwischterten, der Wind rauschte im Wald, bewegte die Bäume in rhythmischer Gleichmässigkeit. Kühle Luft fuhr mir durch die Haare. Gänsehaut überkam mich, ich fühlte tiefe Verbundenheit mit der Natur. Keine Menschenseele weit und breit, alle bei der Arbeit, in der Schule. Dankbar für dieses Erlebnis ging ich in Stille.
Immer wenn ich in Stille gehe, finde ich zu mir selbst. In der Stille der Natur entdecke ich die unendliche Schönheit aller Geschöpfe von Mutter Erde. Ich ging den Pfad durch den Wald, entspannte mich, liess alle Sorgen hinter mir, fühlte den Moment, lebte im Moment.
Ein andermal wanderte ich von Untervaz über Igis, den Wanderweg «Tritt» hinauf nach Valzeina. Von dort aus weiter bis nach Grüsch, dann Landquart, über Mastrils am Rhein entlang zurück nach Untervaz. Der Himmel wolkenlos, Windstille, die Sonne schien kräftig. Der Tritt ist ein blau-weiss Wanderweg, und führt ziemlich steil den Berg hinauf von Igis bis nach Valzeina. Teilweise führt der Pfad am Rande eines Abgrunds entlang. Der Wanderweg ist gefährlich, hatte noch das Laub von letztem Herbst kombiniert mit Schnee darauf liegen, rutschig, gefährlich, ein falscher Schritt - lebensgefährlich. Ich, ein Genosse mit Höhenangst, versuchte meine Furcht mit dieser Wanderung zu bekämpfen.
Als ich auf der Anhöhe bei Valzeina ankam, den schwierigen Weg überwunden hatte, fühlte ich mich so lebendig wie selten zuvor. Die Angst machte mich wach, machte mir bewusst, wie schnell das Leben vorbei sein kann, sollte man nicht achtgeben.
Eine dritte Wanderung führte mich von meinem Heimatdorf dem Rhein entlang nach Mastrils, weiter nach Jenins, Maienfeld nach Fläsch. Dort erwanderte ich den Regitzer Spitz und vor lauter Wanderfreude rannte ich den gesamten Weg vom Spitz bis hinuter nach Fläsch, worauf ich an den folgenden Tagen mit grausamen Muskelkater zu kämpfen hatte. Das wiederum führte mir vor Augen, dass Dehnübungen vor und nach der Wanderung ein essentieller Bestandteil der Wanderung sind, sowie das langsamer manchmal schneller ist. Von Fläsch lief ich schnellen Schrittes wieder nach Hause. Über die Rebstockfelder von Jenins und Maienfeld, entlang der Wiesen nahe Landquart, nach Mastrils wieder am Rhein entlang.
Und weil aller guten Dinge nicht immer drei sind, erzähle ich noch von einer vierten Wanderung - meiner wohl längsten Wanderung in diesem Jahr. Mit einem Freund startete ich erneut von meiner Haustüre aus über den Steinbruch in Untervaz Richtung Haldenstein nach Chur. Teils war der Weg gesperrt, doch wir wagten es trotzdem. Teils war der Weg nicht mehr. Für einige Meter klaffte ein gähnendes Loch mitten im Weg, welches dann grosszügig umgangen oder übersprungen werden musste. Der Weg ging an einem Abhang entlang und lehrte uns mancherorts das Fürchten. Wir durchquerten die Stadt Chur von der Brücke zu Haldenstein bis zum Meiersboden. Dort liefen wir bis Malix, Churwalden, nach Parpan weiter bis zum Heidsee. Da ich mit einem Freund unterwegs war, sprachen wir viel über unsere Leben. Wir lachten und gingen den Weg als wäre es ein kurzer Spaziergang. Mit einem Freund zu wandern, bedeutet für mich die schmerzenden Muskeln zu vergessen, das Ziel zu vergessen - denn, der Weg ist das Ziel. Ein guter Freund kann eine schwere Zeit in wunderbare Augenblicke verwandeln. Doch der Bedeutung der Freundschaft widme ich mich ein andermal.
Ich beginne meine Wanderungen meist von der Haustüre aus. Manchmal schlafe ich eine Nacht unter freiem Himmel in der Hängematte oder im Zelt, doch meist kehre ich noch am selben Tag heim. Wandern bedeutet für mich manchmal langsam, manchmal schnell, alleine in Stille oder in Zweisamkeit mit einem guten Freund zu gehen. Es bedeutet für mich die Seele hängen zu lassen, ihr den Freiraum zu geben, den benötigt um gesund zu bleiben. Die Gedanken treiben zu lassen, die Sorgen zu vergessen und präsent zu sein. «Ich habe mir meine besten Gedanken angelaufen, und ich kenne keinen Gedanken, der so schwer wäre, dass man ihn nicht beim Gehen loswürde» - ein Zitat von Sören Kierkegaard beschreibt ziemlich genau was ich beim Wandern fühle.