Und wieder grüsst das (Corona) Murmeltier
Ich komme mir ein wenig vor wie im Film «Und täglich grüsst das Murmeltier», wo der Wetteransager Phil Connors denselben Tag in den verschiedensten Varianten immer wieder erlebt. Meine Variante 2021 sieht so aus: Im Gegensatz zu letztem Jahr mache ich dieses Jahr meine Lesungen und Workshops im November und Dezember, allerdings mit einem sehr unguten Gefühl, da Schulen die neuen Hotspots sind und ich öfters zu Pendlerzeiten im vollen ÖV durch das halbe Land reisen muss. Der entscheidende Unterschied zum letzten Jahr: Ich bin geimpft, was mich zumindest teilweise schützt.
Letzte Woche durfte ich bei einer Podiumsdiskussion dabei sein, bei der ich mich zusammen mit Sunil Mann und Bettina Spoerri darüber unterhielt, welche Bücher und Autor*innen mein Schreiben beeinflusst haben. Es war spannend, kurzweilig, unterhaltsam, witzig. Und es war ein 3G-Anlass. Plus ganz neu zusätzlich mit Maskenpflicht. Was für ein Kontrastprogramm zu den Schullesungen, wo ich maskenlosen Kindern und Jugendlichen gegenüberstehe, die manchmal in riesigen Gruppen dicht an dicht sitzen, wenn ich Pech habe in Räumen, die sich nur schlecht lüften lassen. Und mit Lehrpersonen, die zum Teil einen resignierten Fatalismus entwickelt haben, weil die Situation sonst schwer erträglich wäre.
Ich gestehe: Ich bin (noch) nicht in dieser Phase des resignierten Fatalismus angelangt. Ich bin fassungslos über die absolute Resistenz eines Teils der Bevölkerung gegen wissenschaftliche Fakten und Statistiken. Ich nerve mich (immer noch) über maskenlose Menschen in vollen Pendlerzügen und Bussen. Ich bin wütend, weil dieser ganze Murmeltiermist samt aller dazugehörigen Variationen zu vermeiden gewesen wäre. Oder zumindest weniger schlimm hätte kommen können. Ich denke an meine Berufskolleg*innen im Qulturbereich, die Angst haben, dass jetzt alles wieder von vorne anfängt. Ich sehe meine Berufskolleg*innen in Deutschland und Österreich, für die abgesagte Anlässe und damit der erneute Existenzkampf schon wieder zur Tatsache geworden sind.
Es gibt Tage, da geht mir das alles kräftig an die Nieren. Und dann gibt es Tage, wo ich denke: Jo nu, so dänn halt. Heute ist so ein Zwischentag zwischen an die Nieren gehen und Gleichgültigkeit. Und darum ist aus dieser Kolumne eine Murmeltierkolumne geworden, statt dem Bericht über den tollen Anlass von letztem Mittwoch und die Autor*innen und Bücher, die mich beeinflusst haben. Ich mache das – vielleicht – in meiner nächsten Kolumne. Vielleicht, weil alles grad wieder ziemlich unberechenbar geworden ist.
Mein etwas wackliges Rezept gegen diese Unberechenbarkeit: In mein Lesungsreisegepäck gehören immer noch Masken, Desinfektionsmittel, mein CO2-Messgerät, ein gesunder Optimismus und die Hoffnung, dass es irgendwie schon gut kommt. An meinen Lesungen herrschen tiefste Temperaturen, ich trage mehrere Kleidungsschichten, weil ich auf ausreichende Lüftung bestehe. Nach meinen Lesungen versuche ich, mir ausserdem ein dickes Nervenkostüm anzuziehen, damit ich die Heimfahrt im überfüllten ÖV gelassen hinter mich bringen kann.
Diese Woche habe ich bei einer Schulklasse gelesen, wo mir zuliebe sogar die Drittklässler Masken getragen haben, obwohl sie das nicht müssten. Ohne, dass ich danach gefragt hätte. Das berührte und freute mich sehr. Ich habe mich mit einem Gratisexemplar für die Schulbibliothek für diese Rücksichtnahme bedankt.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie in diesen Tagen – trotz allem – möglichst gute Varianten der Murmeltiertage erleben dürfen. Tragen Sie sich Sorge und bleiben Sie gesund.