Tanzen 4.0 auf dem Julier
Einen Turm bauen auf dem Julier. Utopisch. Und jetzt Realität. So muss es sein. Vielleicht hilft die heutige Inszenierung uns Bündnern, mutiger zu werden und Dinge anzugehen, von denen wir überzeugt sind, dass sie nicht machbar sind.
Das Ensemble des Wiener Staatsballetts unter der Regie von Eno Peçi ist soeben eingetroffen - genau als der Wind etwas stärker und eine gewisse Energie spürbar wird. Sie haben sich an die Aufgabe gewagt. Mit der Aufführung «Zeitraum» wollen sie die digitale gegen die analoge Welt ausspielen. Spannend und beängstigend zugleich.
Wer wird bei diesem Spiel gewinnen, frage ich mich? Da ich bezüglich digitalen Welten skeptischer bin als mancher Politiker, schaue ich dem Spektakel leicht verunsichert entgegen.
Geht es diesen jungen Tänzern und ihrem Choreografen ähnlich wie mir oder sind sie der digitalen Welt bereits verfallen? Sehen sie ihren Beruf bedroht, da Roboter in Zukunft die Rolle der Tänzer übernehmen werden? Heute Utopie, morgen Realität?
Ich trete ein in den Turm. Tolle Architektur, von Hand gebaut, intelligente Bühnentechnik von Menschen konzipiert. Spannend! Und erst recht diese sakralen Fenster. Man schaut hinaus und die Berge stehen da wie Gemälde. Aha! So schön kann die Unwirklichkeit sein.
Dann geht das Licht aus. Für einen kurzen Moment ist es ruhig, nur die Geräuschkulisse von draussen dringt ins Theater hinein. Analog schlägt Digital, geht es mir durch den Kopf.
Dann setzt die Musik ein: sehr monoton und technisch. Digital eben.
Die Tänzer tragen Kopfhörer. Sie hören Musik. Ihre Körper reagieren auf den Rhythmus, synchron und mechanisch. Die Welt ist vergessen. Sie fliehen in eine traumhafte, unwirkliche Welt. Sie schirmen sich ab, isolieren sich, bewegen sich in der digitalen Isolation. Immer wieder versuchen sie aus dieser in die reale Welt zurückzukehren, indem sie den Kopfhörer weglegen. Die Versuchung ist gross den Kopfhörer wieder und wieder anzulegen, um die reale gegen die surreale Welt einzutauschen.
Draussen trommelt der Regen, mehr Herbst als Sommer. Als wolle uns jemand mitteilen, dass die echte Welt stärker sei als all das Digitale mit ihrer künstlichen Intelligenz.
Ich kann den Wunsch ja verstehen, da einem ständig vorgegaukelt wird, es gäbe diese ideale Welt: Alles glatt poliert, keine Sorgen und Ängste und fehlerfrei. Gleichzeitig sträubt sich alles in mir, ich will leben mit allen Konsequenzen. Das heisst auch, Hürden meistern, sozial Denken, andere Meinungen haben, sich und andere spüren.
Mann, bin ich froh, dass Eno Peçi keinen Tänzer gegen einen Roboter eingetauscht hat.
Sie haben das Thema mit ihren Bewegungen eindrücklich erzählt, jeder auf seine Art. Brillant, mit einem Kopfhörer zu zeigen, wie isoliert man ist, wenn man sich in dieser «Traumwelt» bewegt und seine Umgebung nur noch vage oder gar nicht mehr wahrnimmt.
Ich bin erleichtert. Für mich, der klare Sieger: die analoge Welt! Dank den Akteuren, die eine hervorragende Darbietung getanzt haben. Dank den Zuschauern, die begeistert applaudieren und ihre Emotionen zeigen. Dank den Organisatoren, die diese Idee hatten einen Festsaal in den Alpen zu bauen. Dank denen, die diese Utopie in die Realität verwandelt und mich zum Nachdenken verführt haben. Danke.
Gewiss ist es ist nicht das letzte Mal, dass ich auf dem Julierpass stehen werde. Der Sturm ist dem Sternenhimmel gewichen – Dramaturgie vom Feinsten. Ich freue mich nun auf das Gespräch mit Eno Peçi (Regie) und Jakob Feyferlik (Tänzer).
Was war der Grundgedanke dieser Choreografie: Analog versus Digital?
(Eno) Der Auftrag war das Thema Utopie umzusetzen. Rasch entstand die Idee die Isolation des Menschen durch seine Abhängigkeit von digitalen Gadgets zu zeigen. Aus meiner Sicht ist diese bereits weit fortgeschritten.
Wenn ich Menschen, vor allem junge, auf der Strasse beobachte, wie sie von Smartphones oder Ipads ferngesteuert durch die Wiener Strassen laufen, empfinde ich Einsamkeit.
Es deprimiert mich.
Wir leben immer mehr in einer Wunschwelt, die nicht existiert. Trotzdem ist diese für viele erstrebenswert. Ich weiss, ohne diese Technologien geht es nicht mehr. Denn gerade ohne diese digitalen Geräte fühlen sich viele Menschen einsam und ausgeschlossen vom sozialen Leben.
Ich frage mein Publikum, wie können wir die Balance zwischen diesen zwei Welten halten ohne dabei Schaden zu nehmen?
Wieviele Freiheiten gibst du als Regisseur den Tänzern?
(Eno) Ich spreche sehr viel mit ihnen. Ich teile meine Grundidee, damit sie meine Botschaft
verstehen. Choreografieren heisst immer zusammen zu arbeiten. Die Tänzer denken und gestalten mit. Daraus entwickelt sich die künstlerische Inszenierung. Dieses Geben und Nehmen, dieses Fördern und Fordern ist das wichtigste Element bei meiner Art zu arbeiten.
Jakob, war dieses Thema als Tänzer schwierig zu interpretieren?
(Jakob) Für uns ist es sehr wichtig vom Regisseur diese Grundbotschaft zu erhalten. Was stellt er sich genau vor? Wie sieht er unsere Rolle? Mit dieser genauen Vorstellung können wir uns ein eigenes Bild machen. Wir interpretieren die Musik und setzen das im Tanz um.
Sobald wir auf der Bühne stehen und dieses Stück tanzen, fühlt es sich an, als ob wir in dieser surrealen Welt gefangen sind. Durch die Schritte, durch den Stil und durch die Musik wechselt dieses Gefühl – es wirkt befreiend.
Der Kopfhörer als stilistisches Mittel und Symbol für die digitale Welt, der Kampf sich davon loszusagen. War das bewusst so gewollt?
(Eno) Auf jeden Fall. Wir leben immer mehr in dieser digitalen Welt und machen uns abhängig davon. Ich habe mir vorgestellt wie es ist, wenn der Strom ausfallen würde und die Menschen in die analoge Welt zurückkehren müssten. Für viele Personen wäre das ein Kraftakt, sie würden in der realen Welt untergehen. Nicht ohne Grund nehmen psychische Krankheiten stetig zu.
Seid ihr für dieses Stück auf die Strasse gegangen, habt Leute beobachtet und Recherche betrieben?
(Beide) Ja, das gehört dazu. So entstanden spannende Ideen, die wir im Tanz ausdrücken konnten. Das Thema ist brandaktuell und wir hatten genügend Material, welches wir von der Strasse mitnehmen konnten. Bei Gesprächen auf der Strasse stellte es sich heraus, dass dieses Thema die Menschen sehr beschäftigt.
Hat das Ensemble seine Haltung dadurch geändert?
(Jakob) Wir sind uns bewusst geworden, dass der Austausch untereinander wichtig ist. Wir nutzen die Zeit bewusster. Die Achtsamkeit ist gestiegen. Wir können und wollen dieses neue Zeitalter aber nicht vollkommen ignorieren, da es auch viele Vorteile mit sich bringt. Beim Musik hören zum Beispiel, speziell wenn wir unterwegs sind.
Die Musik wurde digital abgespielt. Früher wurde im Ballett mit Orchester gespielt. Ist der nächste Schritt, Tänzer gegen Roboter auszutauschen?
(Jakob) Ich kann mir das nicht vorstellen, das Roboter Tänzer ersetzen können. Für mich hat eine Maschine keine Emotionen, diese kann nicht ausdrücken, was dargestellt wird – alles was einen Tänzer ausmacht. Mit seinem Körper eine Geschichte zu erzählen und das auf einer Bühne dem Publikum nonverbal zu kommunizieren. Das funktioniert mit einem Roboter nicht.
Einen Roboter ins Ensemble zu integrieren. Ist das eine Idee, die dem Choreografen im Kopf herumschwirrt?
(Eno) Nein, nicht wirklich. Tänzer zu ersetzen ist schwierig in der Umsetzung. Eine Choreografie entwickelt sich. Es ist kein fertiges Produkt, welches programmiert werden kann.
Dem Roboter fehlt, Stand heute, die Intuition und der Instinkt, aus dem Bauch raus zu improvisieren. Für mich utopisch. Als Experiment sicher eine Möglichkeit, speziell bei
diesem Thema.
Eine digitale Geschichte in einer analogen Umgebung wie dem Julierpass zu erzählen. Für euch ein grosser Kontrast?
(Jakob) Auf jeden Fall. Diese Bühne hier ist komplett anders, als wir es gewohnt sind. Für uns auch etwas surreal. Mitten in den Bergen, auf 2300 Metern über Meer, ein grosser roter Turm zwischen Felsbrocken. Dazu das unglaubliche Gefühl in dieser Umgebung Tanzen zu dürfen. Ich habe gestaunt, dass so ein Turm umgesetzt werden konnte. In einer Grossstadt wie Wien ja, aber hier oben? Toll, als Tänzer oder als Choreograf hier oben auftreten zu dürfen.
Ihr wart schon mal hier?
(Beide) Ja und wir sind gerne zurückgekehrt!
In Wien zu tanzen oder inmitten der Berge, wie fühlt es sich für euch an?
(Jakob) Es ist etwas vollkommen anderes. Es herrscht hier eine ganz andere Atmosphäre. Wenn ich hier auf dem Julierpass in den Turm hineinkomme, fühle ich mich in einer anderen Welt, das Ambiente, die Bergkulisse draussen. In Wien, da fühle ich mich zu Hause. Da kenne ich die Bühne in und auswendig, da ich 10 Monate pro Jahr dort trainiere. Auf Tour zu sein bedeutet Abwechslung und neue Erfahrungen. Ich habe mich speziell gefreut, an diesen Ort zurückzukehren, da hier sehr viel Energie fliesst.
Walzermusik oder ganz moderner Soundtrack, was ist dir lieber?
(Jakob) Es ist ganz unterschiedlich. Für einen Tänzer ist es elementar verschiedene Musik zu hören und zu interpretieren, von Modern bis Klassik. So werde ich gefordert und kann mich
weiterentwickeln. Es ist wie mit allem, wenn ich immer das Gleiche tue wird es irgendwann langweilig, sehr langweilig.
Wie schwierig ist es nonverbal eine Geschichte dem Publikum näher zu bringen?
(Eno) Ich gebe die Hauptbotschaft vor, diese muss der Tänzer einhalten. Darüber hinaus, soll der Tänzer individuell mit dem Publikum korrespondieren. Jeder soll sich anders ausdrücken.
Die Botschaft muss dabei die gleiche sein. Jeder Körper ist anders und braucht deshalb ein individuelles Training, die Methodik bleibt die gleiche.
Ich sehe dich als noch jungen Choreografen?
(Eno) Ja, das sehe ich auch so. Obwohl ich bereits seit 2009 in die Choreografie eingetaucht bin und bereits einige für mich wichtige Meilensteine erreicht habe. Ich war früher Tänzer. Nun erhalte ich viel mehr Möglichkeiten zu choreografieren, als wenn ich nur tanze. Mit den neuen Projekten kommt immer mehr Erfahrung dazu und ich komme aus der Komfortzone heraus. Dieser Zugang zur Kreativität ist sehr spannend und inspiriert mich.
Jakob, siehst du dich irgendwann in der Choreografie?
(Jakob)Im Moment versuche ich mich im Tanzen weiterzuentwickeln. Ich fühle mich noch zu jung um mit Choreografie anzufangen, aber vielleicht in der Zukunft, wer weiss?
Seid ihr als Ensemble mit denselben Leuten unterwegs oder wechselt sich das je nach Produktion?
(Beide) Wir sind alle unter Jahresverträgen und mit demselben Ensemble unterwegs.
Das gibt sicher auch mehr Vertrauen in die Partner?
(Jakob) Genau. Deshalb war es für uns auch sehr angenehm, mit Eno zusammenarbeiten zu dürfen, da wir ihn bereits als Tanzkollegen kennen. Wir wissen, wie er tickt, wie er arbeitet, was er will. Und er kennt uns sehr genau mit unseren Stärken und Schwächen. Das steigert die Qualität der Arbeit.
Ist Eno ein Schleifer? Oder hat er eine gute Mischung zwischen Zuckerbrot und Peitsche?
(Jakob) Ich sag mal – die gute Mischung macht ihn aus (Eno muss lachen).
Lernst du von jungen Tänzern noch dazu?
(Eno) Ja natürlich. Ich versuche immer von den Tänzern das rauszunehmen, was sie können. Jeder Tänzer hat andere Talente, diese beobachte ich sehr genau, dadurch lerne ich stetig dazu. Jeder hat andere Begabungen, deshalb lerne ich den Körper besser zu verstehen und kann das für die Choreografie interpretieren. Es ist ein Nehmen und ein Geben.
Es ging für einmal nicht ausnahmslos um Liebe und Tod, sondern ums Überleben in einer zunehmend digitalen und geschlechtsneutralen Welt. Sind solche neuen Themen wichtig für dich?
(Eno) Für mich ist es sehr wichtig, solche Geschichten umzusetzen, da ich selber zu dieser Generation gehöre und ich mir oft Gedanken über die Zukunft mache. Daraus entstehen genügend neue Themen mit denen wir das Publikum begeistern können.
Hast du einen Tanz den du irgendwann einmal tanzen möchtest?
(Jakob) Es gibt so viele Möglichkeiten und als Tänzer gehe ich neugierig durchs Leben. Es ist genug Platz in meinem Herzen nicht nur einen Tanz auszuwählen zu wollen. Ich will mich nicht für ein einziges Stück entscheiden.
In der Ausbildung gibt es verschiedene Richtungen. Hast du da eine, die dir besonders gut gefällt?
(Jakob) Ja, Moderner Tanz, Klassisches Ballett und Neoklassischer Tanz ist das, was ich am liebsten mache. Mit diesen Richtungen beschäftige ich mich auch tagtäglich.
Wenn mir jemand einen neuen Stil oder Tanz zeigen würde, kann es durchaus sein, das
dies auf mich einen speziellen Reiz ausüben und ich dann alle Energie dafür bündeln
würde.
Für dich ein wichtiges Kriterium: Offen sein für Neues?
(Jakob) Ja, neugierig für Neues zu sein, ist die Basis für eine künstlerische Karriere. Ausprobieren, ob das Talent dazu reicht oder nicht. Auf jeden Fall nehme ich aus diesen Erfahrungen stets etwas mit auf meinem Weg.
Der Bus und das Team wartet bereits auf Eno und Jakob. Morgen fahren sie heim. Ich denke: Vielleicht beamen sie sich beim nächsten Auftritt auf den Julier? Ich weiss: Utopisch.