«Rosskur für ein Pferd»
Bild/Illu/Video: pixabay.com/ Mario Liebherr

«Rosskur für ein Pferd»

Ich döse im Spa-Bereich des Hotels ... Mag sein, ich habe in meinem Leben zu viele «Kommt ein Pferd in eine Bar»-Witze gehört, jedenfalls müsste meine Story eigentlich anfangen mit «Kommt ein Pferd in den Spa-Bereich». Es sieht ganz verständig aus, allerdings schaue ich reichlich dumm aus der kaum vorhandenen Wäsche. «Könnte ich ein Handtuch haben?», fragt es mich. Geistesgegenwärtig antworte ich, dass ich hier nicht der Concierge sei; trotzdem setzt es sich zu mir.


«Gibt es hier die Rosskur? Bin ich hier richtig? Ich such schon den ganzen Tag; bin völlig erschöpft.» Da will ich mal nicht so sein und überlasse ihm meinen Massagetermin. Die Masseurin fragt mich, ob das mein Pferd sei – allerdings sagt sie das nicht wortwörtlich, ich muss ihren erstaunten Gesichtsausdruck deuten – und liege mit dieser Interpretation wohl ganz richtig.


«Ich liebe den Wellness-Bereich; davon hab ich auf meiner Weide immer geträumt.» Das Pferd sieht ganz glücklich aus. Allerdings lässt es ein paar Pferdeäpfel fallen; an sich guter Dünger, aber was soll das im Swimmingpool?


«Wo genau tut es Dir denn weh», setze ich die Unterhaltung fort, so als ob ich es mit einem Sprengstoff-Attentäter zu tun habe. Meine Worte sorgfältig wählen. «Kommt es Dir im Leben manchmal auch so vor, dass Du mit Sachen konfrontiert wirst, die es eigentlich nicht geben sollte?», frage ich das Pferd.


«Meine Weide ist abgegrast, mit meinen Hufen müsste ich zur Pediküre. Früher hatte ich Rennpferd-Ambitionen ...» Moment mal, hat es etwa vor, mir hier seine Lebensgeschichte zu erzählen? Ich hatte mir vorgenommen, nicht mehr so zuhörbereit zu sein; ich hatte es allmählich nur noch mit Zeit-Dieben zu tun. «Ihr habt doch eigentlich eine Rossnatur; warum dieser vehemente Drang, eine Heilbehandlung in einem Spa zu beginnen?»


Die Masseurin ist mittlerweile umgekippt. Sie hat einfach zu lange hyperventiliert. Gar nicht gut. «Soll ich eine Maul-zu-Mund-Beatmung versuchen?», schlägt das Pferd vor. Es scheint einen netten Charakter zu haben. Einige Badegäste sehen das nicht so. Sogar der Koch erscheint. Das macht dem Pferd dann doch Angst; Assoziationen zum Rossschlachter mögen da eine Rolle spielen. Er fragt, was er mit den Pferdeäpfeln machen soll. Ich schlage «Pferdeäpfel in Weissweinsosse» vor. Das Pferd schaut mich fragend an. «Echt jetzt?» «Das Pferd ist hier wegen einer Rosskur.» Ich fühle mich als Aufklärer, Schlichter, Diplomat. Schön, wenn man mit einigen Worten zur Beruhigung der Lage beitragen kann.


Das Pferd pfercht sich in den Whirlpool. «Verdammt eng hier. Ist ja noch schlimmer als in meiner Box.» «So kann ich wirklich nicht entspannen!», beschwert sich eine dickere Lady. Sie hätte vorher aus dem Whirlpool aussteigen sollen.


Es hat aber was Gemütlich-Bäurisches – ein Pferd bringt seine ganz eigene Atmosphäre mit. Man denkt an Zirkus, die Prärie, Rodeo-Reiten. «Ich war früher mal Zirkus-Pferd; da lernt man eine Menge über Menschen; zum Beispiel deren Sprache. Anfangs hatte ich echt Probleme damit; ich musste ja auch immer heimlich üben. Da merkt man erst, wie dämlich Hofhunde sind. Unsereins setzt sich mit Sprache ja über das rein Tierische einfach so hinweg.» Das klingt jetzt schon ein bisschen eingebildet. «Arroganz schadet nicht. Ganz im Gegenteil, man eröffnet sich ganz neue Abteilungen. Welches Pferd traut sich schon in den Spa-Bereich eines Hotels vorzudringen?»


Seine Argumentation ist schlüssig. Das verstärkt aber nur die Unschlüssigkeit der Umstehenden. Man diskutiert über Sinn und Zweckmäßigkeit von Rosskuren. Einige würden sie gerne dem gesamten Planeten verschreiben, da der völlig versifft sei. «Apropos versifft – meine Pferdedecke ist ganz dreckig.» Es schnäuzt da rein. «Das ist ein Tuch aus dem Hotel.» Ich führe mich wieder wie ein Spiessbürger auf. «Du bist so ein Alman», kritisiert mich das Pferd. Die anderen Hotelgäste stimmen ihm zu.

«Wie komm ich von hier zu den Rossbreiten? Ich will Abenteuer!» Es sieht in der Tat unternehmungslustig aus. Unternehmungslustiger als ich. «Vielleicht hält man sich sein Leben lang im Wellness-Bereich auf, in der Komfort-Zone?», werfe ich einfach mal so in den Raum. «Soll ich Dich jetzt auch noch beraten?» Es sieht zunehmend entspannter aus.


Es singt: «Im Weissen Rössl am Wolfgangsee, dort steht das Glück vor der Tür ...» Einige singen mit. Eine Stimmungskanone. «Ich heisse tatsächlich Harlekin», meint es zu mir. «Denn für den Harlekin ist diese ganze Welt ein großes Zirkuszelt.» Es sieht mich ernst an. «Die entscheidende Frage ist doch: Bist Du ein Vollblut oder ein Schaukelpferd?» Ich habe nichts gegen Schaukelpferde, aber es will wohl darauf hinaus, dass man ein Vollblut-Irgendwas sein soll.


«Leidenschaft ist in meinem Beruf fehl am Platz. Ich bin ein Bürohengst – aber mehr so in Richtung Ackergaul. Ackern ... Und dann hat man ein paar erholsame Stunden im Spa – die aber unterbrochen werden von einem wundersamen Pferd.» «Klingt für mich nach einem Lob. Nur weil jemand sprechen kann, heißt das ja nicht, dass er auch was auszusagen hat.» «Ich habe nichts gegen Small Talk.» «Sorry, da bist Du bei mir an der falschen Adresse.» Jetzt genüge ich nicht mal den geistigen Ansprüchen eines Pferdes. «Manchmal muss man ein Rosstäuscher sein; dem Leben imponieren wollen. Man kann nur dann hoch zu Ross sitzen, wenn man ein entsprechendes Pferd hat.» Es schmiegt sich an mich. Soll ich es etwa behalten?


Die Masseurin erklärt sich nun endlich bereit, sich dem Pferd zu widmen. Es meint: «Ich hätte da Tipps zum morgigen Pferderennen. Hab mich da mal umgehört.» Damit steht es augenblicklich im Mittelpunkt des Interesses. Da von uns keiner Pferdisch kann, ist das schon von Vorteil, einen Dolmetscher zu haben mit langjähriger Erfahrung im Zirkus-Business. «Man kriegt so einiges mit von den Wehwehchen und Leiden der Kollegen: Ob sie in die Hufe kommen. Zu dem Behufe schlich ich mich dort rum.» Täusch ich mich, oder drückt es sich immer gewählter aus? Offensichtlich freut es sich, dass es unsere Aufmerksamkeit hat. Mal nicht geritten werden; als gleichrangig behandelt zu werden. Uns Menschen reitet ja auch oft der Teufel. Engel sind wohl nicht so reitversessen.


Wir machen uns eifrig Notizen. Man bittet die Polizei, wieder zu gehen; das habe mit dem Pferd alles seine Ordnung. Wenn die Tipps vom Pferd stimmen, dann kann es sich bald eine eigene Suite leisten. Ich sollte mit ihm zusammenarbeiten.


«Die Behuften an die Macht!», wiederholt es ein paarmal. Im Wellness-Bereich soll es auch der Fantasie gutgehen. Man kann die Seele, die Psyche nicht direkt massieren, aber man kann den Wünschen die Erlaubnis geben, sich zu äußern, die Fantasie erhält einen Freiflug-Schein ... Und wo sie landet, das steht ihr frei.


Leider wache ich aus meinem Traum wieder auf ... Kein Harlekin, kein sprechendes Pferd ... Ich vermisse es direkt. Gut, dass Pegasus dreister ist, er lässt sich nicht abhalten von Bestimmungen, einem Concierge ... Irgendwie erinnert mich Harlekin an Pegasus. Vermutlich hat er in dieser Gestalt die Gelegenheit genutzt für eine Traum-Visite. Man sollte es buchen können – aber es hat etwas von einem Wildpferd – und von Dressur hält es nichts. Sein freier Wille ist ihm heilig.


Zur Sicherheit frag ich bei der Rezeption nach, ob ein Pferd namens Harlekin eine Nachricht für mich hinterlassen hat.

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