Erstes Sternenkindergrab in Chur eröffnet
Im Jahr 2017, während meiner zweiten Schwangerschaft, lernte ich die Hebamme Nina Marchion kennen. Zu dieser Zeit steckte sie mitten in einer Weiterbildung zum Thema «Professionelles Begleiten beim frühen Tod eines Kindes» von der Fachstelle Kindsverlust.
Auch wenn ich während der Schwangerschaft Gedanken an eine Fehlgeburt weit von mir schob und von dem Thema Kindsverlust wenig hören wollte, war ich doch sehr beruhigt, eine Hebamme wie Nina an meiner Seite zu wissen. Ich konnte sicher sein, dass sie auch in so solch einer Katastrophen-Situation professionell für uns da sein würde.
Wir hatten Glück und konnten unser gesundes Wunder im Arm halten. Doch ich wurde neugierig mehr über das Thema «früher Tod eines Kindes / Kindsverlust?» zu erfahren und habe Nina Marchion ein paar Fragen gestellt.
Wie kam es dazu, dass du dich für die Weiterbildung zum Thema Kindsverlust entschieden hast?
Während der Ausbildung zur Hebamme wurde ich immer wieder mit dem Thema konfrontiert, sei es im Gebärsaal durch akute Verluste, wie auch in Gesprächen vor oder nach der Geburt, bei welchen Betroffene ihre Geschichte erzählten. In der Ausbildung behandelten wir zwar das Thema Kindsverlust, jedoch nicht sehr intensiv. So hatte ich immer wieder ein Gefühl von «das muss doch noch besser gehen» bei der Begleitung. Oft fragte ich mich auch, ob ich denn richtig begleite, was zu einem Gefühl von Unsicherheit und Selbstzweifeln führte.
Als mein Mann und ich selber 3 Kinder früh in der Schwangerschaft gehen lassen mussten, erlebte ich das Thema Kindsverlust nicht nur als Fachfrau, sondern auch als Betroffene. Ich wurde sehr gut betreut vom Spital und auch mein Umfeld war unglaublich stützend und hilfreich. Dennoch blieb auch dort ein Gefühl von «da muss doch noch mehr gehen» zurück.
Dann sah ich die Ausschreibung des Lehrgangs «Professionelles Begleiten beim frühen Tod eines Kindes» von der Fachstelle kindsverlust.ch. Als ich das Inserat sah wusste ich, dass ich diese Weiterbildung unglaublich gerne machen würde. Dieser Lehrgang würde mir endlich die ersehnte Sicherheit geben können.
Wie viele Hebammen mit dieser Weiterbildung gibt es in der Schweiz? Wie und wo findet man euch?
Die Fachstelle kindsverlust.ch bietet diesen Lehrgang seit 2016 jedes Jahr an. Jeder Lehrgang hat 18 freie Plätze und kann von Hebammen, aber auch von Ärzten, Pflegefachfrauen, Doulas, Mütterberaterinnen… belegt werden. Schweizweit gibt es inzwischen etwa 80 Personen mit diesem Abschluss. Zur Zeit bin ich noch die Einzige mit diesem Abschluss im Kanton. Im aktuellen Lehrgang sind jedoch erfreulicherweise auch eine Hebamme aus dem Engadin und eine Doula aus Chur mit dabei.
Die Fachstelle hat ein Verzeichnis in welchem sie alle Fachpersonen und ihre Angebote auflistet. Gewisse Angebote sind online auf der Homepage ersichtlich, andere werden bei Anfrage vermittelt. So können sich betroffene Eltern, Angehörige oder auch Fachpersonen bei der Fachstelle melden und erhalten kostenlos Rat. Zudem erhalten Betroffene die Kontaktdaten zu Hebammen oder anderen Begleiter*innen.
Hat jedes Krankenhaus oder jede Geburtsstation diese Liste und kann damit einen Kontakt zu den betroffenen Familien und den Hebammen herstellen?
Meines Wissens nicht. Da es immer wieder Fluktuationen im Gesundheitsberuf gibt wäre es für die Spitäler auch schwer möglich so eine Liste zu führen. Aber die Spitäler können jederzeit bei der Fachstelle anrufen und nachfragen. Bisher gibt es schweizweit noch nicht so viele darauf spezialisierte Hebammen. Es spricht sich jedoch herum, wenn es jemanden in der Gegend gibt, der sich darauf spezialisiert hat. Manchmal erhalten die Betroffenen so direkt vom Spital einen Kontakt oder die Betroffenen melden sich selbst bei der Fachstelle kindsverlust.ch.
Es ist leider noch manchmal so, dass Betroffene das Gefühl haben sie dürfen sich nicht melden, weil sie ja ohne Kind nach Hause gehen, insbesondere nach einer Fehlgeburt oder nach einem Abbruch. Die Verarbeitung des sowohl körperlichen, wie auch emotionalen Geschehens ist jedoch wichtig für das Weiterleben mit dem Verlust und auch für eine spätere Folgeschwangerschaft. Eine spezialisierte Fachperson kann hier sehr unterstützend begleiten.
Spielt es eine Rolle, wann der Kindsverlust stattfindet?
Die Trauer, der Verlust und der Schmerz um den Verlust des Kindes der ist da- egal wann das Kind gestorben ist. Sei dies in der 6. SSW oder in der 39. SSW. Die Eltern sollen und dürfen um ihr Kind trauern, egal wann das Kind gestorben ist.
Was heisst das für die Eltern, die ihr Kind früher gehen lassen mussten?
Die Trauer im Bereich Kindsverlust hat ganz viele Gesichter. Da ist die Trauer von Eltern, ihr Kind in der 6. Schwangerschaftswoche gehen lassen musste, wovon niemand sonst wusste und so gar nicht richtig trauern können. Es gibt Eltern die können einen Verlust in der 6. Woche gut annehmen und andere Eltern hadern auch am Sterbebett noch mit dem Verlust.
Da ist die Trauer von Eltern die ihr Kind kurz vor, während oder nach der Geburt verabschieden mussten. Statt ein Kind nach Hause zu nehmen müssen nun Organisationen für den Abschied gemacht werden.
Da gibt es die Eltern, die sich für einen Abbruch einer Schwangerschaft entschieden haben und mit diesem Verlust klarkommen müssen, welcher noch mehr tabuisiert wird und die Eltern so oft doppelt alleine damit bleiben.
Oder auch Eltern, bei denen zum wiederholten Mal erfolgslos eine künstliche Befruchtung stattgefunden hat, die Abschied nehmen müssen vom Kinderwunsch…. Es gibt so viele Facetten im Bereich Kindsverlust und keine Situation ist gleich.
Für mich ist entscheidend, dass alle Eltern trauern dürfen um ihr Kind, egal in welcher Woche es auf die Welt kam.
Wie sieht es rechtlich mit dem Thema Fehlgeburt aus?
In der Schweiz haben Kinder ab der 24.Schwangerschaftswoche, oder mit mehr als 500g Gewicht, oder mit Lebenszeichen geborene Kinder, ein Recht auf eine Nennung im Familienbuch und damit haben sie auch ein Anrecht auf ein Grab. Seit ein paar Jahren können Eltern von Kindern, die diese Kriterien nicht erfüllen, beim Zivilstandesamt ein Formular ausfüllen und ins Familienbuch legen. Dies ist jedoch kein rechtsgültiges Dokument.
Seit kurzem haben Familien ein Anrecht auf Hebammenbetreuung nach einer Fehlgeburt wenn die Schwangerschaft bis zur 13. Woche dauerte. Vorher läuft der Verlust des Kindes leider immer noch unter Krankheit und muss selbst bezahlt werden.
Mehr Information dazu gibt es hier.
Wo können Eltern trauern, die ihr Kind früh haben gehen lassen müssen?
Viele Eltern gehen mit ihren Sternenkindern an eigene Orte, welche ihnen viel bedeuten. Für einige Eltern ist der Friedhof ein wichtiger Ort. Zum Glück gehen die meisten Gemeinden in den letzten Jahren sehr offen mit dieser Thematik um und ermöglichten Eltern, die einen Ort für ihre Trauer suchten eine Bestattung auch ohne rechtliche Grundlage. Diese Bereiche heißen «Sternengräber» und schweizweit gibt es immer mehr davon. In Graubünden gab es bisher noch kein einziges Grabfeld speziell für Sternenkinder, was mich sehr störte. Deshalb habe ich begonnen mich umzuhören und auf Gemeinden zuzugehen.
Ein Ruheplatz für Sternenkinder – Warum ist das wichtig und was sollten Eltern wissen?
In meinen Augen haben Kinder, die zu früh gehen mussten, einen würdevollen und schönen Ort verdient. Neben dem benötigten Platz auf dem Friedhof ist die Gestaltung eines Sternengrabes auch mit Kosten verbunden. So hat es in meinen Augen wenig Sinn, wenn es in jedem Dorf pro forma Sternengräber gibt, die aber wenig genutzt werden, weil es kein schöner Ort ist, an dem man gerne Zeit verbringt.
Wenn betroffene Eltern ihr Kind auf dem Friedhof beerdigen möchten, so ist meine Erfahrung, dass dies oft auch ohne angepasste Friedhofsordnung möglich ist. Die Pfarrpersonen stehen den Eltern hier in der Regel auch immer unterstützend zur Seite.
Wenn du träumen dürftest, was wäre deine Vision von Sternenkindgräbern in der Schweiz?
Mein Wunsch wäre, dass es in jeder Gemeinde einen würdevollen Abschiedsort für Kinder geben würde und es in unserer Gesellschaft normal ist, dass Eltern von ihren auch frühverstorbenen Kindern Abschied nehmen dürfen wenn sie dies möchten.
Der Realist in mir ist jedoch schon sehr zufrieden, wenn es pro Region einen Ort gibt, an welchem die Vision eines Sternengrabes schön und respektvoll umgesetzt wird.
Sternenkind-Gräber – Wo findet man sie?
Die Fachstelle kindsverlust.ch führt ein Register mit allen Sternengräbern in der Schweiz. Mittlerweile sind dort knapp 60 Sternengräber, Grabstätten, Erinnerungsgräber,… in unterschiedlicher Form und Art erfasst. Vielleicht sind auch nicht alle Grabstätten dort gemeldet und es gibt noch mehr. Die betroffenen Familien finden über die Fachstelle eine Übersicht oder die fachliche Begleitperson unterstützt die Eltern hierbei.
Hier in Chur, auf dem Friedhof Daleu, ist ein wunderschöner Ort entstanden. Ein offener Ort, wo Eltern die Möglichkeit haben ihr verstorbenes Kind so beizusetzen, wie sie es möchten. Kremiert oder Erdbestattung, mit Grabfeld oder im Gemeinschaftsgrab. Ganz nach den Wünschen der Eltern. Es können auch ganz früh verstorbene Kinder hier ihren Platz finden. Das Sternengrab ist mit Blumen und Bäumen umgeben, eine schöne Wiese lädt Geschwisterkinder zum herumspringen ein. Weitere sehr schöne Sternengräber sind in Arbeit. So ist die Region Ilanz aktuell dabei einen wunderschönen Abschiedsort für Sternenkinder zu ermöglichen und in Valendas wird meines Wissens im November ein Sternengrab eingeweiht.
Vielen Dank für deine offenen Worte zu diesem berührenden Thema und deinen Einsatz für betroffene Eltern.