Bild/Illu/Video: Roman Isenmann / Mali Gubser

Male dir dein Leben in deinen Farben

Vor mehr als zwei Wochen habe ich eine neue Projektarbeit gestartet. Im Auftrag der Gemeinden Sevelen und Vaduz darf ich für die Jubiläumsfeier der alten Holzbrücke über den Rhein zwei Tücher bemalen. Die erste Holzbrücke wurde im Jahre 1871 gebaut. Die Tücher allein sind schon eine Herausforderung, weil sie mit ihrer Grösse von je 350x160cm nämlich auf keinen konventionellen Arbeits-Tisch passen! Mein Atelier hat genau genommen einen Durchmesser von rund 350cm, was die Auslegung eines einzelnen Tuches doch ziemlich arg einschränkt. Ich bin also auf dem Tuch umhergegangen, bin hingekniet und habe dann zum ersten Mal in meinem Künstler-Leben überhaupt eine Grundierung (Silhouette) auf dem blanken Boden gemacht. Dabei hat mich mindestens zwei Mal einen Krampf im Fuss, jedenfalls für kurze Zeit, ausser Gefecht gesetzt. Später habe ich das Tuch dann auf einem Tisch und dem zur Verlängerung daran angestellten Bügelbrett hin und her geschoben, so dass ich wenigstens ab und zu beim Malen auch einmal absitzen konnte.


Für die Kunstaktion «Schatten: ÜberBrücken» sind rund zwanzig Künstler aus der Region angefragt worden. Aufgabestellung ist folgende: Es müssen menschliche Schatten/Silhouetten dargestellt sein und in der Silhouette soll unsere Kunst offenbart werden. Ich fand die Idee super und habe darum auf die Anfrage sogleich zugesagt. Die Feier am 21. August findet bei der Holzrheinbrücke Sevelen-Vaduz (also grad bei der Grenze) statt, die Tücher werden in der Passerelle der Brücke aufgehängt. Die Feier des 150-jährigen Jubiläum beginnt am 21.August 2021 um 10:00 und endet um 17:00 Uhr.

Inzwischen bin ich mit meiner Arbeit bei Tuch Nummer zwei angelangt. Mit dem Ergebnis von Tuch Nummer eins bin ich zufrieden. Dazu kann ich verraten, dass es für mich persönlich eine Reise voller Überraschungen war. Zudem hat es mich einmal mehr berührt, wie ich, ohne überhaupt gross nachzudenken, einfach drauf los gemalt habe und schlussendlich über das Ergebnis staunen durfte.


Tuch Nummer zwei hingegen ist die schwierigere Herausforderung, denn nach Tuch Nummer eins wusste ich ja, dass ich die Geschichte vom zweiten Tuch auch erzählen muss. Bevor ich überhaupt angefangen habe zu malen, wusste ich erst gar nicht, was ich erzählen werde. Das ist im Grunde genommen ja auch das Faszinierende an der Kunst. Du greifst zum Pinsel und malst Striche und Formen. Es entsteht ein Bild. Das Bild kommt aus deinem tiefsten Innern. Dann kommt immer mehr Farbe hinzu. Farben haben auch eine starke Aussagekraft. Wer meine Arbeiten kennt, weiss wie bunt meine Bilder sind.


Vor wenigen Tagen noch allerdings, wollte ich Tuch Nummer zwei wegwerfen und nochmals von vorne anfangen. Es war mir nämlich bewusst geworden, dass ich einiges falsch gemacht hatte und diese Fehler wollte ich dann alle auf einmal ausmerzen. Einfach so, als hätte es sie nie gegeben. Ich war kurz davor, die Organisatoren um ein neues Tuch zu bitten. Weil ich aber bereits vielen Stunden in dieses zweite Tuch investiert habe, wurde mir schnell bewusst, wie sehr mich seine Geschichte doch umhertreibt. So habe ich beschlossen, allem Zweifel zum Trotz dranzubleiben und das Beste aus diesem Bild und dem Sujet zu machen. Egal was noch passiert, am Schluss werde ich zu diesem Bild stehen - ohne Wenn und Aber!


Tuch Nummer eins ist lieblich und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es die Herzen der Betrachter erfreut. Tuch Nummer zwei hingegen tut dies nicht. Es wirkt eher gefährlich und für den einen oder anderen gar etwas wirr.


Was ich mit dieser Kolumne auch sagen möchte: wir können nicht immer nur lieb und nett sein. Ich beispielsweise habe mich jahrelang stets angepasst. Jedoch gibt es Situationen im Leben, bei denen wir kämpferisch auftreten sollten. Das ist ein Teil der Geschichte von Tuch Nummer zwei. In dem wir uns einfach «nur» anpassen, geben wir uns selbst immer auch ein Stückweit auf. Wenn wir aber unseren eigenen Weg gehen, dann kommen wir bei uns an. Sollte es nicht unser aller persönliches Ziel sein, bei uns selbst anzukommen?


Ich male mir mein Leben in meinen Farben. Denn in dem ich zum Pinsel greife, mache ich mich auf eine neue Reise mit meinen Erlebnissen, Gedanken, Erinnerungen, Hoffnungen und Wünschen.

Themenverwandte Artikel

Was hat die Banane, was ich nicht habe?
Bild/Illu/Video: Pixabay

Was hat die Banane, was ich nicht habe?

Frautastisch: Julia Keller
Bild/Illu/Video: zVg.

Frautastisch: Julia Keller

Bianca Lardi: «Malen ist wie Tagebuch schreiben.»
Bild/Illu/Video: zVg.

Bianca Lardi: «Malen ist wie Tagebuch schreiben.»

Empfohlene Artikel