Deutscher Jugendliteraturpreis 2022
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Deutscher Jugendliteraturpreis 2022

Der deutsche Jugendliteraturpreis umfasst fünf Kategorien: Bilderbuch, Kinderbuch, Sachbuch und zwei Mal Jugendbuch. Wieso zwei Mal? Für die Sparte Jugendbuch gibt es zwei Jurys: Die Kritikerjury und die Jugendjury; beide wählen unabhängig voneinander ihre Favoriten aus.


Dieses Jahr sind sich die beiden Jurys bei zwei Büchern einig: Dunkelnacht von Kirsten Boie und Wie man eine Raumkapsel verlässt von Alison McGhee finden sich auf beiden Listen. Ich möchte diese Bücher mit einer kurzen Inhaltsangabe und Voten aus den Jurys vorstellen und gleichzeitig empfehlen, sich die vollständigen Jurykommentare dazu und vor allem auch die anderen nominierten Bücher näher anzusehen. Möglich ist das auf der Seite des Deutschen Jugendliteraturpreises. https://www.jugendliteratur.org/nominierungen-2022/c-103


Dunkelnacht

Inhalt: Alle spüren, dass der Krieg und die fürchterliche Ideologie der Nationalsozialisten kurz vor dem Ende stehen. Doch in der Nacht vom 28. auf den 29. April 1945, zwei Tage vor Hitlers Selbstmord, ereignet sich das dunkelste Kapitel der damals noch jungen Stadt Penzberg in Bayern. Denn während der einst von den Nazis abgesetzte Bürgermeister zurück ins Rathaus zieht, erlässt die Wehrmacht den Befehl, alle Widerständler sofort hinzurichten. Und zwischen allen Fronten stehen die Jugendlichen Marie, Schorsch und Gustl.


Kritkierjury: «Kirsten Boie hat diesen Fall recherchiert und zu einem bedrückenden, beinahe szenischen Kammerspiel verdichtet. In knappen Sätzen schildert sie mit schmerzhafter Präzision, wie aus Nachbarn unerbittliche Gegner geworden sind, wie ideologische Verblendung jede Menschlichkeit ausradiert. Große Geschichte spiegelt sich im Kleinen. Die beklemmende, atmosphärisch dichte Schilderung wird durch die Figuren dreier Jugendlicher, die zwischen den Fronten stehen, nochmals intensiviert. Boie gelingt ein bewegendes Stück Erinnerungsliteratur, das unter die Haut geht.»


Jugendjury: «Sehr eindrücklich werden die Ereignisse einer einzigen Nacht geschildert, in welcher der Volkssturm noch einmal gnadenlos Jagd auf alle macht, die nicht in das Bild der Nazis passen. … In ihrem Roman beleuchtet Kirsten Boie mit den Endphasenverbrechen einen Aspekt des Zweiten Weltkrieges, der vielen eher unbekannt ist. Dabei wechselt das Buch zwischen unterschiedlichen Perspektiven, was hilft, verschiedene Sicht- und Denkweisen der Charaktere zu verstehen.»


Wie man eine Raumkapsel verlässt

Inhalt: Will ist einer, der geht. Von zu Hause zur Schule zur Arbeit und wieder zurück. Tag für Tag. Er geht an diesem kleinen Kerl vorbei, der auf Schmetterlinge wartet. Vorbei an Superman, dem Obdachlosen. Vorbei an dem wahnsinnigen Hund, der immer bellt. Aber es gibt auch Orte, an die will er nicht, kann er nicht gehen: die Brücke über die Fourth Street, den Laden mit den hundert chinesischen Segenssprüchen – Orte, die er immer mit seinem Vater besucht hat und der sich das Leben genommen hat. Will muss herausfinden, wie er auf seine Probleme zugehen kann, statt vor ihnen wegzulaufen. Vielleicht, indem er den Mut findet, wieder mit seiner Freundin Playa zu sprechen? Ist das der Weg raus aus der Traurigkeit und ins Leben zurück?


Kritikerjury: «Alison McGhee rückt nicht nur einen feinfühligen Jugendlichen in den Mittelpunkt, sondern neben der Musik von David Bowie auch die Zahl Hundert. In 100 Kapiteln mit je 100 Wörtern lässt sie einen beeindruckenden sprachlichen Sog entstehen, erzeugt in der Kürze einen enormen Spannungsbogen voller Rhythmus und Sound.»


Jugendjury: «Die Geschichte wirkt wie eine Sammlung von Gedanken, Erinnerungen und Ereignisschilderungen. Diese fügen sich im Laufe des Lesens zusammen und ergeben nach und nach ein Bild von Wills Leben. Die kurzen, klaren Sätze in der feinfühligen Übersetzung von Birgitt Kollmann kommen ohne vordergründige Dramatik aus. Der Text überzeugt uns durch genau diesen Verzicht und schafft damit Raum für die Beobachtungen eines sensiblen Protagonisten, der seinen Platz in der Welt sucht.»


Von den nominierten Jugendbüchern habe ich erst Die beste Zeit ist am Ende der Welt gelesen. Nun bin ich gespannt auf Dunkelnacht und Wie man eine Raumkapsel verlässt. Vor beiden habe ich sehr viel Respekt und auch ein wenig Angst. Ich weiss nicht, wie ich mit der Thematik der Geschichten klarkommen werde, vor allem nicht mit der Schilderung der Ereignisse in Dunkelnacht. Normalerweise mache ich einen sehr weiten Bogen um Geschichten aus dem Krieg, weil sie mich viel zu sehr aufwühlen (und das ist noch eine Untertreibung). Ich lasse mir offen, ob ich Dunkelnacht bis ans Ende lesen will und kann.


Am Ende dieser Kolumne noch ein Vergleich zwischen dem Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis und dem Deutschen Jugendliteraturpreis: Während der Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis sich auf das Schweizer schaffen beschränkt, öffnet sich der Deutsche Jugendliteraturpreis der ganzen Welt. Besonders gut gefällt mir die Idee der Jugendjury, bestimmt doch hier die Zielgruppe, was ihr am besten gefällt. Einen ähnlichen Preis gibt es mit dem Bookstar.ch auch in der Schweiz. Dort geht es jedoch noch einen Schritt weiter: Nachdem ausgewählte Schulklassen ihre Favoriten erkoren haben, können jugendliche Leser*innen online mittels Abstimmung den Siegertitel erküren.


Ich kann beiden Modellen etwas abgewinnen, dem Einschränken auf das heimische Schaffen wie beim Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis und dem weltweiten Öffnen wie beim Jugendliteraturpreis. Der Preis für das Schweizer Schaffen stärkt dieses auch. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, als der Schweizer Kinder- und Jugendliteraturpreis ins Leben gerufen wurde – und deshalb war ich auch entsprechend enttäuscht, als sich kein Jugendbuch auf der Nominationsliste fand. Ein Preis, bei dem Bücher aus der ganzen Welt berücksichtigt werden, öffnet den Horizont, hat aber den Nachteil, dass oft Bücher nominiert werden, die es im Ausland schon geschafft haben denen dann ein guter Ruf vorauseilt, während die deutschsprachigen Bücher erst gerade frisch auf den Markt gekommen sind und sich erst noch bewähren und behaupten müssen.


Was mir am besten gefällt: Das intensive Auseinandersetzen mit den Texten. Ich bin immer gespannt, welche Bücher nominiert werden und wie die Wahl von den Jurys begründet wird. In diesem Sinne: Viel Freude beim Stöbern in den ausgewählten Büchern und den Begründungen, die Sie dazu lesen können.

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