«Der Sommer deines Lebens»
Wohlgemerkt in der Woche vier des russischen Überfalls auf die Ukraine, der Tausende das Leben gekostet und Millionen aus ihren Häusern und Ihrer Heimat vertrieben hat. Inmitten einer Pandemie, welche ebenfalls immer noch Leid und Tod verursacht, und die sich ebensowenig einfach wegreden lässt, wie die Folgen der viel zu lange verschlafenen Energiewende, die sich nun in Form einer Preisexplosion bei den Preisen für fossile Energien ins Gedächtnis ruft.
«Der Sommer deines Lebens». Als könne man mit einer Reise in den Sommerferien die Realität einfach hinter sich lassen und diese Zeit der Pandemie, des Krieges, der Klima- und Energiekrise mit der Überweisung von ein paar hundert Franken auf das Konto eines Reiseveranstalters einfach wieder verschwinden lassen oder besser gesagt – denn darum geht es ja – wegkonsumieren? Als habe Konsum jemals ein wirkliches Problem gelöst. Derzeit verschärft er nur die bereits bekannten.
Nichts ist mehr normal
Und da tun nicht wenige Unternehmen immer noch so, als sei alles wie immer und preisen einfach ihre Waren an als wäre nichts – in Zeiten der Verunsicherung und Konsumzurückhaltung teils noch lauter und schriller als sonst.
Nichts ist gerade normal. Die Welt um uns herum nicht und das macht auch etwas mit uns. Auch wir sind nicht normal. Den einen macht all das Angst, die anderen fühlen sich tief verunsichert und nach zwei Jahren Pandemie ausgezehrt, wieder andere sind zornig, dass Ihnen die Welt da draussen einfach so in ihr Leben, ihren Alltag und ihre langgehegten und liebgewonnenen Gewissheiten hineinpfuscht.
Als seien Frieden, Wohlstand und Überfluss eine Selbstverständlichkeit. Millionen Menschen auf diesem Planeten leiden unter Hunger, Krieg und Erderwärmung, sie können von einem Leben auf dem Niveau unserer Privilegiertheit nur träumen. Passend dazu und ganz auf dem Niveau unserer lange eingeübten Saturiertheit empört sich in dieser Woche der Zürcher Tagesanzeiger und fragt in fetten Lettern: «Werden meine Frühlingsferien jetzt teurer?»
Der entlarvte Sonderfall
Die Antwort ist so einfach wie banal: Selbstverständlich werden die Frühlingsferien teurer und vieles andere auch – und das auch in der Schweiz. Die Erzählung vom Sonderfall Schweiz wurde nicht nur schon durch die Pandemie erschüttert – was gerade auf der Welt geschieht und was uns noch bevorsteht, wird ihn endgültig als politischen Mythos entlarven.
Dass die Inflation kommt, zeichnet sich bereits seit dem vergangenen Jahr ab. Die Lieferketten sind durch die Pandemie teils unterbrochen worden, durch die zuletzt stark steigende Nachfrage ist der Welthandel per Schiff recht durcheinander geraten, Frachter stauen sich, Container werden teils nicht entladen oder sind am falschen Ort. Andere Güter sind einfach knapp.
Da das bereits absehbar war, habe ich die Löhne für meine Teilzeit-Mitarbeiter/innen in der Heiligkreuzer Seifenmanufaktur zum Jahreswechsel um drei Prozent erhöht, wohlwissend, dass das nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist – ich selbst zahle für Rohstoffe und Verpackungsmaterial inzwischen teils 25 bis 40 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Das Leben wird für uns alle rundum teurer werden.
Ende der Unschuld
Wie also umgehen mit dieser ungewohnten Situation? Ich schrieb oben, das alles, was passiert, «macht etwas mit uns». Ich spüre das auch immer wieder im Umgang mit Kunden und Kundinnen. Da ist eine Art Gewissheit, sich irgendwie vielleicht neu sortieren zu müssen, aber wie?
Eine langjährige Kundin schrieb mir dieser Tage, sie finde es schwierig, mit all den Schuldzuweisungen umzugehen. Wir seien durch unseren Lebensstil ja letztlich schuld an der ganzen Misere, heisse es überall.
Tatsächlich haben wir durch unser Verhalten, unseren Konsum und Energieverbrauch über unsere Verhältnisse gelebt – und auf einem einzigen Planeten mit begrenzten Ressourcen ist das selbstverständlich ein Nullsummenspiel, welches entweder auf Kosten anderer Menschen oder unserer Umwelt geht.
Dennoch denke ich, dass Schuld der falsche Begriff ist. Wir sind aufgewachsen in der Gewissheit, das alles schon gut und richtig sei so. Wir passten da in unsere Zeit, in ihre allgegenwärtigen Selbstverständlichkeiten.
Zeit für Verantwortung
Ich möchte statt Schuld das Wort Verantwortung vorschlagen. Verantwortung bedeutet, sich über die Auswirkungen seines Handels klar zu sein, wenn man sich dieser Folgen tatsächlich bewusst ist. Und ich denke, da hat sich in den vergangenen Jahren nun wirklich etwas grundlegend verändert.
Das Wissen darum, was die Folgen unseres Konsums und Energieverbrauchs eigentlich sind, ist inzwischen tief ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen: zum Beispiel eine beschleunigte Erderwärmung, die Ausbeutung von Arbeiter/innen in sogenannten Billiglohnländern – und menschenverachtende Despoten, die dank unseres Hungers nach fossilen Energien ihre Kriegskassen durch den Verkauf von Kohle, Öl und Gas mit unseren Devisen füllen.
Spätestens in dem Moment, in dem uns das klar ist, dürfen wir uns durchaus nach unserer Verantwortung fragen. Verantwortung ist im Unterschied zu Schuld kein Vorwurf, es ist der aktive und aufgeklärte Weg vorausschauenden Handelns. Wir sollten uns angesichts der Misere also nicht schuldig fühlen, sondern einfach verantwortlich handeln.
Freiheit recht verstehen
Echte Verantwortung hat übrigens nichts mit dem Begriff der Eigenverantwortung zu tun, der in der Pandemie verschlissenen und zum Gegenteil von Verantwortung verkehrt wurde wie auch der Begriff der Freiheit. Verantwortung bedeutet nicht, nur an sich selbst (das Eigene) zu denken, sondern im Gegenteil, gerade die Auswirkung des eigenen Handels auf andere mitzudenken. So wie Freiheit nicht bedeutet, einfach alles tun zu können, was einem in den Sinn kommt, sondern sich darüber bewusst zu sein, dass die eigene Freiheit dort endet, wo die des Nächsten beginnt. Das zu erkennen ist wiederum ein Frage unserer Verantwortung.
So kann man sich zum Beispiel in Freiheit dafür entscheiden, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und in Gegenwart gefährdeter Mitmenschen eine Maske aufzusetzen, um diese zu schützen. Oder man kann am Schmutzigen (Fastnachts-)Donnerstag, an dem in den Morgenstunden der russische Überfall auf die Ukraine begann, auch einfach einmal auf das traditionelle Saufgelage verzichten, nicht weil man müsste, sondern vielleicht einfach aus Respekt vor den Toten – auch wenn die eigene Abstinenz freilich keinen von ihnen wiederbelebt, aber ich denke, Sie verstehen, was ich meine.
Man muss das alles nicht, aber man kann. Wir haben in Freiheit die Wahl – wie wir sie treffen liegt in unserer Verantwortung.
Mehr Fragen als Antworten
Das alles sind schwierige Fragen – und die Antworten liegen leider nicht immer direkt auf der Hand. Und manchmal gibt es auf offene Fragen – gerade, wenn sie die Zukunft betreffen – auch gar keine richtigen Antworten. Das geht mir in meiner Seifenmanufaktur auch nicht anders. Seit zwei Jahren ist nichts planbar. Mitarbeiter/innen fallen immer wieder krankheitsbedingt aus, sei es, weil sie selbst erkranken, Unfälle haben (ja, auch so etwas gibt es in Pandemiezeiten noch) oder weil die kleinen Kinder krank sind.
Die Rohstoffsituation ist angespannt, die Preise schwanken stark; wie lange welche Lieferketten halten, ist angesichts von Pandemie und Krieg ungewiss. Vor zwei Jahren habe ich vor allem Öle und Fette für die Seifen (diese und die Natronlauge sind die Hauptzutaten) bis unters Dach gebunkert, angesichts stark steigender Holz- und Papierpreise decke ich mich jetzt gerade mit Verpackungsmaterial für den Versand ein, solange das noch einigermassen bezahlbar ist.
Derweil zehrt all das – die Folgen der Pandemie und nun des Krieges – freilich auch an der eigenen Kraft. Vielleicht kennen Sie das ja auch, diese plötzlichen Gedanken, dass einem früher vieles doch viel leichter gefallen ist als heute: «Was ist da los mit mir?»
Das mit der Hoffnung
Die Antwort ist einfach, steht bereits oben und kann uns im Sinne der Verantwortung für uns selbst auch etwas entlasten: Die Zeiten sind einfach nicht normal – und niemand sollte von sich selbst erwarten, trotz allem so zu funktionieren als wäre nichts. Es ist etwas und das ist arg und es liegt in unserer Verantwortung für uns selbst, uns das auch zuzugestehen.
Es wäre ein Wunder, würde uns all das nicht angreifen, irritieren, uns mal ängstlich, mal wütend machen oder auch Gefühle wie Hilflosigkeit oder Resignation auslösen. Lassen wir es zu. Erst wenn man eine Situation akzeptiert, wie sie ist, kann man einen Umgang damit finden.
Ich selbst tue das, was eben geht, und es ist nach zwei Jahren kräftezehrender Pandemie etwas weniger als auch schon. Die vielen offenen Fragen, die Ungewissheit, all das frisst Kraft. Neulich habe ich einer Mitarbeiterin gesagt: «Früher war mehr Hoffnung».
Akzeptanz statt Resignation
Das hört sich irgendwie erstmal ziemlich unbedarft und etwas doof an, aber genauso fühlt es sich gerade an. Denn die Hoffnung, dass man mit dem eigenem Einsatz etwas verändern, verbessern kann (neudeutsch: Selbstwirksamkeit) – das ist es doch, was uns antreibt. Doch was alles gerade passiert, zeigt uns nur auf, wie klein wir sind, wie sehr wir als Einzelne abhängig sind von so vielem, was in der Welt zusammenhängt und sich unserem direkten Einfluss entzieht.
Verantwortung heisst in diesem Zusammenhang, einerseits zu akzeptieren, was unveränderbar ist, sich aber andererseits darüber klar zu werden, welches die eigenen Möglichkeiten sind (seien sie noch so klein) und diese dann aber auch zu ergreifen, so gut es eben geht.
Resignation ist sicher keine Lösung – auch wenn das alles mit «mehr Hoffnung» vielleicht etwas einfacher wäre. Aber die haben Millionen von anderen Menschen auf dieser Welt auch nicht, die noch dazu von Hunger und Armut geplagt sind.
Schritt für Schritt
Was bleibt also, da sich so vieles ändert? Eine Kundin schreibt mir, sie zelebriere die Momente mit ihren Lieblingsseifen, in den Augenblicken, in denen sie im Bad und ganz bei sich sei – jeden Tag mit einer Seife, die gerade zu ihrer Stimmung passe. Das ist eine schöne Idee und hat sehr viel für sich.
Schaffen wir uns in diesen Zeiten Momente, in denen wir ganz bei uns sind, die uns gut tun (mit oder ohne Seife, das spielt keine Rolle) und in denen wir uns auf das besinnen, was – trotz womöglich verspürter Hilflosigkeit – unsere begrenzten, aber eben dennoch unsere Möglichkeiten sind. Auch viele kleine Schritte können zu einem Ziel führen.
Ein solcher Schritt ist der von Markus Kobelt, dem Chef der Lubera Gärtnerei nur rund 25 Kilometer entfernt von mir in Buchs SG. Auch von ihm habe ich neulich einen Newsletter bekommen, überschrieben mit «10% des Umsatzes für Ukraine-Hilfe» Während mein kleiner Apfelbaum von ihm bei mir vor dem Haus gerade Blüten ansetzt, hat er mit dieser einwöchigen Aktion mehr als 30’000 Franken an Hilfsorganisationen für Menschen in der Ukraine gespendet – Respekt!
Einfach eine Tulpe sein
Es gibt sie also auch noch, die guten Newsletter. Und bei solchen Hilfsaktionen werde ich ganz neidisch und auch etwas traurig, da ich für so etwas nicht die Möglichkeiten habe. Hier in der Heiligkreuzer Seifenmanufaktur geht derweil die ganze Kraft auch nach zwei Jahren Pandemie praktisch nur in die weitere Aufrechterhaltung der Produktion, die Sicherstellung der Versorgung mit Rohstoffen und die Weiterbeschäftigung meiner Mitarbeiter/innen.
Tun wir, was wir können, mehr können wir ohnehin nicht – und verzagen wir vor allem nicht. Ein Blick in meinen Vorgarten zeigt, dass das Leben weiter geht. Manchmal möchte ich da einfach auch so eine Tulpenzwiebel sein, die voller Hoffnung auf den nächsten frühlingshaften Sonnenstrahl aufblüht, gerade so als wäre nichts. Das wünschte ich von Herzen vor allem auch all den Menschen in der Ukraine und in der Welt, die unter Kriegen, Not und Hunger leiden – und die gerade noch viel weniger Hoffnung verspüren als wir gerade.
Passen Sie gut auf sich auf, bleiben Sie gesund, bleiben Sie zuversichtlich und einander zugewandt.
Wolfgang Frey ist Journalist, Autor, Publizist und Gründer der Heiligkreuzer Seifenmanufaktur.