Anleitung für den Oscar
Syd Field ist eine Legende. Auch rund vier Jahre nach seinem Tod ist der Mann aus Kalifornien für viele Filmemacher eine Referenz. Seine Lehrbücher rund ums Verfassen von Drehbüchern gelten gerade Nachwuchsautoren als eigentliche «How to»-Anleitungen. Field selbst hat das auch immer so dargestellt. Etwas pauschal gesagt war seine Botschaft: «Mach, was ich sage, und du landest einen Erfolg.» Er sezierte Filme nach exakten Vorgaben, bis hin zu der Minute, in der ein Wendepunkt zu kommen hat. Seine Bücher sind voll von Formulierungen wie: «Es funktioniert, machen Sie es deshalb genau auch so.»
Keine Frage: Wie jedes «Produkt» müssen oder können auch Spielfilme nicht völlig neu erfunden werden, und Syd Fields Rezepte enthalten viele wertvolle Einsteigerdetails. Allerdings ist Filmemachen ein kreativer Prozess und unterscheidet sich von einer Brotback-Anleitung. Wenn alle Autoren und Regisseure diesen Schritt-um-Schritt-Regeln folgen, ist das Resultat absehbar: Jeder Film sieht aus wie der letzte. Fields Rezepte wurden gerade in den letzten Jahren von unkonventionellen Filmemachern immer wieder und mit Erfolg missachtet. Und nicht nur beim Spielfilm: Via Netflix werden hervorragend gemachte Serien aus aller Welt in unsere Wohnzimmer gespült, die sich nicht an Schablonen halten, sondern lustvoll Regeln brechen. Nur ein Beispiel: Die Serie «Fargo», die in Anlehnung an den gleichnamigen Kult-Film schräge Figuren, sperrige Dialoge und langsame Kamerafahrten zelebriert, hätte niemals Syd Fields Segen erhalten.
Auch in der Schweiz verstecken sich viele Produzenten indirekt hinter Field und Co., wenn sie Skripte beurteilen und Gelder sprechen – beziehungsweise eben nicht. Eine der Standardaussagen der Leute, die Drehbücher absegnen, lautet: Jeder Film braucht eine Sympathiefigur, mit der sich der Zuschauer identifiziert. Wer nach solchen «Gesetzen» arbeitet, produziert vielleicht hin und wieder einen (kommerziellen) Hit, meistens aber eine Flut von austauschbarer Massenware. Gerade ein kleiner Filmmarkt wie die Schweiz muss aber mit dem Besonderen herausstechen. Skandinavische Länder oder auch Grossbritannien und Irland kreieren immer wieder solche Perlen, und keine davon hält sich an althergebrachte Produzentenregeln. Dafür bleiben sie aber in Erinnerung.
Schweizer Jungautoren, die mit solchen Filmen aufwachsen, sind bereit, Risiken einzugehen und Filme zu machen, die herausragen. Das nützt allerdings wenig, wenn dieser Mut nicht von denen geteilt wird, die den Film finanzieren könnten. Und je länger der Zustand andauert, desto mehr schwindet der Mut auch bei den Autoren. Deshalb schauen Streaming-TV-Kunden weltweit gerne Produktionen aus Norwegen oder Dänemark – aber wohl auch auf lange Sicht nicht aus der Schweiz.
Übrigens: Syd Field selbst hat ausser einigen Episoden einer TV-Sendung in den 60er-Jahren keine Drehbücher geschrieben. Obschon er ja den todsicheren Weg zum Kinohit gekannt hätte. Warum wohl?