Langeweile aushalten
Als ich heute um halb acht zur Arbeit erschien, wurde ich von einer gestressten Mitarbeiterin gegrüsst. Was denn los sei, habe ich sie gefragt, als ich ihre Gefühlsstimmung bemerkte. Das Leben, die Arbeit, die Kinder, der Partner – nichts funktioniert mehr, war die Antwort. Offenbar hatte sie viel um die Ohren und wehklagte mir gleich ihr ganzes Leid. Meist habe ich dafür offene Ohren. Oft versuche ich zu helfen, doch meine Ratschläge wie «weniger zu tun, mehr zu sein» oder «es einfach sein lassen, nicht mehr darüber zu klagen, da jammern sowieso alles immer nur schlimmer macht» stiessen auf taube Ohren. Ich glaube oft nicht ernst genommen zu werden, da ich noch sehr jung (und in Augen einiger sehr dumm) bin. Doch das macht mir nichts aus.
Als ich besagter Mitarbeiterin zuhörte, wurde mir wieder einmal bewusst, wie schön und ruhig und leer mein eigenes Leben ist. Neben der Miete und einigen Versicherungen habe ich nicht wirklich finanzielle Verpflichtungen. Neben dem Arbeitsalltag von zwischen sieben und neun Stunden, je nach Arbeitsanfall eine weitgehend ungeplante und freiverfügbare Freizeit. Als ich heute Morgen zur Arbeit fuhr, war ich zuvor zum Bahnhof gelaufen, um wenigstens ein bisschen Bewegung neben dem tristen Sitz-Alltag zu erhalten. Im Zug von Untervaz nach Haldenstein, sass ich einem Mann gegenüber, der wie hypnotisiert in sein Smartphone starrte. Dass er Kopfhörer in den Ohren hatte, brauche ich, so glaube ich, nicht zu erwähnen. Wie er da so sass, taub und blind gegenüber Jeglichem was um ihn herum geschah, wurde mir bewusst wie abhängig wir doch sind, von diesen Geräten. Unsere gesamte Korrespondenz läuft darüber.
Das Smartphone ist unser Notizbuch, Wecker, Spielzeug, Fernseher und weissdergucker was sonst noch. Eine grosse Abhängigkeit. Ohne fühlen wir uns nackt, der Wildnis ausgesetzt. Ohne Smartphone jedoch sind wir viel sozialer und achten darauf, was um uns herum geschieht. Ohne Smartphone wird vielen von uns schnell langweilig, da wir ganz vergessen haben, wie es ohne war. Wir müssen uns mit uns selbst beschäftigen und nach innen sehen. Der der eines besitzt, kennt doch sicherlich folgende Situation: «Stehe am Bahnhof, warte auf den Zug, mir ist langweilig, zücke mein Handy aus der Hose und klicke gelangweilt darauf herum, bis ich etwas Spannendes gefunden habe oder der erwartete Zug eintrifft.
Auch mit Smartphone kann man gelangweilt sein. Vielleicht sogar noch mehr als ohne.
Nichtstun kann so schön (langweilig) sein. Beim Nichtstun kommen einem die besten Ideen. Man wühlt in den Erinnerungen, verarbeitet, was noch zu verarbeiten war und sucht nach etwas Spannendem. Manchmal hockt man sich aufs Sofa, den heissen Tee vor sich auf dem Tisch und geniesst die Ruhe und Gemütlichkeit.
Ich sitze hier an meinem Tisch, die Decke um die Schultern und sehe aus dem Fenster. Die Nacht bricht herein, ich sehe nur noch die Scheinwerfer, der Autos auf der Strasse. Am Wolkenverhangenen Himmel scheint der Mond leicht hindurch. Was für eine schöne Nacht. Nach einem ereignislosen Tag geniesse ich die Ruhe und fühle mich ganz wohl beim Nachdenken und Schreiben. Jeder kann das haben. Einfach das Smartphone loslassen und wieder wie früher als man ein Kind war in den Tag hineinleben.