«Jeschuas Frau»
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«Jeschuas Frau»

«Drei Frauen hatten ständig Umgang mit dem Herrn: seine Mutter Maria, «seine» Schwester und Magdalena, die «seine Gefährtin» genannt wird.»

Philippus-Evangelium (Nag-Hammadi-Codex II,3) Vers 32

Jeschua war schon 14 Tage mit seinen Jüngern unterwegs in der heissen Wüste. Sie wanderten nach Jerusalem. Das Pessach-Fest sollte bald, in sieben Tagen, anfangen und sie wollten rechtzeitig die heilige Stadt erreichen. Sie kamen nach Bethanien, einer Stadt vor den Toren Jerusalems. Als Simon, der Pharisäer es mitbekam, Jeschua und seine Begleiter seien in seiner Stadt, lud er sie zum Essen ein. Er wollte unbedingt den Prediger und vermeintlichen Propheten kennenlernen. Viel hatte er von ihm gehört. Dass er Kranke heilt, Blinden wieder das Augenlicht schenkt, Tote zum Leben erweckt und andere, unerklärbaren Wunder vollbringt. Er wollte sich von dem Jeschua vorauseilenden Ruf selbst überzeugen lassen.

Er ließ das Mahl vorbereiten und schickte seinen Diener zu Jeschua.

«Jeschua, mein Herr Simon lädt euch in sein Haus ein um mit ihm zu speisen.», sprach der Diener die Einladung aus.


Johannes, der jüngste der zwölf Jünger, den Jeschua besonders liebte und behandelte wurde misstrauisch:

«Mein Herr, Simon will dich auf die Probe stellen und hat bestimmt böse Absichten mit dir. Simon, der Pharisäer lebt in Sünde. Er verkauft Frauen an andere Männer und behandelt seine Diener schlecht. Lass uns dort nicht hin gehen!»

«Sei beruhigt, Bruder. Es ist meine Pflicht unter die Sünder zu gehen. Die Gerechten brauchen keine Heilung.», antwortete Jeschua und sagte zu Simons Diener: «Geh und sag deinem Herr, wir kommen beim Anbruch der Dunkelheit.»


Jeschua und seine zwölf Jünger lagen in Simons Haus zu Tisch. Das Haus war glanzvoll geschmückt mit Gold, Alabaster und orientalischen Teppichen. Simon lag auf einem grossen Kissen, gekleidet in ein festliches, langes Gewand. Er schaute sich kurz um, die Jünger einzeln betrachtend, bis sein Blick auf Jeschua stehen blieb.

«Ihr seid auf dem Weg nach Jerusalem?» fragte er mit einer weichen, fast kindlichen Stimme.

«Ja. Wir wollen rechtzeitig zum Pessach-Fest da sein.» erwiderte Jeschua.

«Es ist mir eine Ehre,» fuhr Simon fort «dass du und dein Gefolge mein Haus besuchst. Ich habe viel von deinen guten Taten gehört. Aber auch von Gerüchten, du kannst Tote zum Leben erwecken.»

Die Jünger wurden unruhig. Sie ahnten, Simon wird Jeschua diese Frage stellen. Sie schauten jetzt Jeschua an und erwarteten seine Reaktion. Er selbst war gelassen und ruhig. «In den Gassen von Jericho, woher wir gerade kommen, gibt es viele Tote. Sie atmen, sie essen, sie trinken. Ihre Sünden haben aber ihre Seelen geraubt. So sind sie im Gott nicht lebendig und im irdischen Dasein nicht tot.»

«Das meinte ich nicht!», ärgerte sich Simon über die ausweichende Antwort. «Ich meine den einzigen Sohn einer Mutter in Nain und die Tochter des Synagogenvorstehers in Gadara, die du wieder zum Leben erweckt hast.»


«Sie waren nicht tot. Sie haben nur tief geschlafen.» erklärte Jeschua.

In diesem Moment kam eine Dienerin mit den Speisen herein. Eine wunderschöne, junge Frau. Dunkle schwarze Locken bedeckten ihre Schulter. Ein Gewand mit einem tiefen Dekolletee und hohem Beinausschnitt bescherte den Gästen die Einblicke auf ihren makellosen Körper. Alle anwesenden waren jetzt von ihrer Schönheit beeindruckt und abgelenkt. Sie verteilte das Brot und die Gewürze. Als sie am Jeschua stand, scheute er ihr in die verführerischen, dunkelbraunen aber etwas traurigen Augen und fragte:

«Wie heißt du, schöne Frau?»

«Maria.», antwortete sie mit einer leisen, reinen Stimme. «Ich bin Maria von Magdala am See Genezareth.»

«Du sollst mit den Gästen nicht reden!», ermahnte sie Simon.

Die junge Frau zuckte, wandte zügig den Blick vom Jeschua ab und ging.


Kurz vor Mitternacht verliessen die Gäste das Haus von Simon. Als sie das Ausgangstor passieren sollten, bemerkte Jeschua eine Frau im Garten auf einer Bank sitzend und weinend. Es war die Simons Dienerin Maria Magdalena. Er ging auf sie zu und fragte mit besorgter Stimme:

«Warum bist du so traurig, Frau?»

Sie schaute zu ihm hoch und sagte:

«Mein Bruder Lazarus ist gestorben. Ich und meine Schwester Marta bereiten sein Begräbnis vor. Er war lange krank gewesen und jetzt hat ihn sein Geist verlassen.», antwortete sie und versuchte die Tränen mit dem Ärmel ihres Kleides wegzuwischen.

«Weine nicht! Dein Bruder ist nicht tot. Führe mich zu ihm.», befahl er ihr.


Sie gingen zum Lazarus Haus. Als sie die Türschwelle betreten hatten, sahen sie Lazarus gehüllt in ein Leinentuch auf einer Totenbahre liegen. Neben ihm kniete eine junge Frau und betete. Es war Marta, die Schwester von Maria und Lazarus.

Jeschua kam näher und beugte sich über dem toten Lazarus. Dann legte er seine Hand auf die Stirn des Toten und sprach leise ein Gebet, das die anderen nicht verstanden hatten. Plötzlich machte Lazarus die Augen auf und versuchte sich aufzurichten.

«Bruder, bleibt noch etwas liegen und ruhe dich aus.», empfahl ihm Jeschua.


Alle anderen fielen auf die Knien. Petrus schrie: «Der wahre Sohn Gottes ist herabgestiegen zu uns!» und sie fingen an einen Psalm zu singen. Magdalena fiel Jeschua um den Hals und küsste ihn sanft und zärtlich auf die Lippen. Jeschua umarmte und drückte sie fest an seinen Körper.


Es war schon spät in der Nacht als sie alle sich zur Ruhe legten. Der Mond durchflutete mit seinem Licht die Räume und man hörte den einen oder anderen der Jünger schnarchen. Jeschua konnte lange nicht einschlafen. In dem dunklen Raum sah er plötzlich einen Schatten vor ihm stehen. Es war Magdalena. Sie schob das Nachthemd über die Schulter und es fiel auf den Boden. Jeschua erblickte die Vollkommenheit ihres nackten Körpers. Sie hob die Bettdecke hoch und legte sich zu ihm hin.


Am nächsten Morgen sahen sie Lazarus im Hof tanzen und singen. Er war fröhlich wie seit langem nicht mehr. Jeschua bemerkte, dass Magdalena etwas bedrückt.

«Was plagt dich meine Liebe?» fragte er sie.

«Oh, mein Herr, was soll ich tun? Ich bin im Besitz von Simon als seine Dienerin und gebe mich hin fürs Geld einem sündhaften Treiben mit anderen Männern.»

«Sündige nicht mehr und folge mir nach Jerusalem.», bat er Magdalena. «Werde meine Frau und bleib an meiner Seite.»

«Er wird mich suchen und wenn er mich findet, bring er mich um!» Voller Angst machte sich Magdalena Sorgen.

«Fürchte dich nicht und verlasse diesen Ort.» beruhigte sie Jeschua.

Sie blieben noch zwei Tage in Bethanien im Hause von Lazarus. Sie feierten und Jeschua erzählte ihnen von dem ewigen Reich Gottes. Die Liebe und die Verbundenheit zwischen ihm und Magdalena wurde immer stärker und vertrauter.

Am dritten Tag machten sie sich auf den Weg nach Jerusalem. Sie verabschiedeten sich von Marta und Lazarus. Magdalena war aber nicht da. Plötzlich kam sie mit einem Gepäck in der Hand und wandte ihre Worte an Jeschua:


«Nimm mich mit, mein Liebster. Wo du hingehst, ich folge dir.»

Auf dem Weg nach Jerusalem fingen die Jünger an unter sich zu nörgeln. Sie befürchteten, Magdalena würde über ihnen im Gunst des Herren stehen und wurden neiderfüllt. Sie sprachen Jeschua an:

«Herr, warum wohnst du dem Weibe bei? Sie ist eine Sünderin? Sie verkauft ihren Körper, sagte uns Simon. Was werden die Menschen in Jerusalem sagen über dich? Der Sohn Gottes teilt das Bett mit einer Hure.»


«Meine Freunde und Wegbegleiter. Seid nicht närrisch!» beruhigte er sie. «Sie liebt mich und ich liebe sie. Genauso wie ich euch liebe. Die Liebe wurde uns von unserem Vater, dem Gott gegeben und wir dürfen sein so wertvolles Geschenk nicht verachten. Sie war eine Sünderin, der Vater befreite sie aber von dem Bösen und führt sie nicht mehr in die Versuchung. Er füllte ihr Herz mit dem Glauben und mit der Liebe. Von nun an ist sie meine Frau und das Geschenk meines Vaters.»

Es war unverständlich für die Jünger, sie widersprachen ihm aber nicht. Auch wenn es für sie unmoralisch und unbegreiflich schien, vertrauten sie auf seine richtige Entscheidung.

Sie betraten am frühen Morgen, des nächsten Tages die Toren von Jerusalem. Während die Jünger nach einer Unterkunft suchten, ging Jeschua in den Tempel. Im Inneren des Gotteshauses fand er Händler und Käufer vor, die ihre Geschäfte machten. Jeschua wurde zornig und warf die Tische der Geldwechsler und Glücksspielbetreiber um.

«Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein!», schrie er die Händler an. «Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle!»


Er beschimpfte auch die Schriftgelehrten und Pharisäer und verurteilte ihre Geld- und Machtgier. Von nun an war er auf der Fahndungsliste der Hohenpriester und ein Kopfgeld auf ihn wurde ausgesetzt.


Einer seiner Jünger, Judas, verfiel der Versuchung, das Kopfgeld zu ergattern und verriet seinen Aufenthaltsort. Jeschua wurde verhaftet und zum Tode durch die Kreuzigung verurteilt. Sie warfen ihn in ein Gefängnis, wo sie ihn drei Monate lang missbraucht hatten. Sie schlugen und erniedrigten ihn bis der Tag seiner Hinrichtung gekommen war. Sie legten ihm ein Kreuz aus Zedernholz auf die Schulter und jagten ihn durch die Straßen zu dem Hügel Golgota. Ein Mann lief auf dem Weg auf ihn zu und fragte, ob er ihm helfen könne, das Kreuz zu tragen. Jeschua hinderte ihn aber daran und sagte:

«Jeder soll sein eigens Kreuz tragen.»


Mit der letzten Kraft unter der Last des Kreuzes an Golgota angekommen, fiel er auf den Boden. Das Kreuz stürzte neben ihm mit einem dumpfen, lauten Bums auf die trockene, sandige Erde ab. Die Soldaten von Pontius Pilatus hoben Jeschua hoch und legten ihn auf das Kreuz. Einer von ihnen nahm die Nägel und schlug sie mit einem Hammer durch seine Hände und Füße an das Kreuzholz. Jeschua schrie und sein Blut spritzte auf die ausgedorrte Erde. Dann richteten sie das Kreuz auf und befestigten es in einem vorbereiteten, ausgehobenen Erdloch. Jetzt hing er da am Kreuz und wartete auf seinen Tod. Es dauerte lange Stunden.


Vor ihm kniete seine Mutter Maria, Johannes, der jüngste seiner Jünger und Maria Magdalena, seine Frau. Magdalena weinte und legte sanft die Hand auf ihren Unterleib, denn zum Zeitpunkt Jeschuas Kreuzigung, befand sie sich schon den dritten Monat in anderen Umständen.

«Vater, warum hast du mich verlassen!», sagte Jeschua plötzlich ganz leise und gab seinen Geist auf.


Während Lukas sein Evangelium niederschrieb, überlegte er, ob Maria Magdalena als Jeschuas Frau erwähnt werden soll. Er befürchtete, die Christen würden sie mehr verehren als ihn und seine Brüder. Die Tatsache, sie war eine Prostituierte gewesen, passte ihm auch nicht in den Konzept seines Evangeliums. Er wollte über ein sündenfreies Leben eines lebendig gekreuzigten und auferstandenen Gott der christlichen Nachwelt berichten. Er entschied ihre Existenz bis auf Jeschuas Kreuzigung und Auferstehung zu verschweigen. Ähnlich taten es auch Markus, Matthäus und Johannes in ihrer Frohen Botschaft von Jeschua.


































Mehr zum Autor

Alex Stepien ist 1974 in der polnischen Stadt Zabrze geboren. 1989 als Spätaussiedler in die BRD eingewandert.

Ausbildung zum Industrie-Mechatroniker. Beruflich als Softwareentwickler tätig.

In der Vergangenheit technische Sachbücher und Tutorials verfasst. Seit einem Jahr die ersten Versuche einen Roman und Kurzgeschichten zu schreiben. Dabei entsteht zur Zeit eine Kurzgeschichtensammlung unter dem Titel «Tabulos», die sich mit den gesellschaftlichen Themen befasst, über die geschwiegen, weggesehen oder nicht gerne gesprochen wird

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