«Freedom – The heart of Revolution» im Soundcheck
Es ist halb drei Uhr Morgens, eine neblige Nacht, und ich versuche heute, schon lange aufgestaute Pendenzen aller Art abzuarbeiten. Ich habe keine Ahnung, was mich erwartet, denn da steht nur: Stevie K., und das sagt mir Banause natürlich wieder einmal gar nichts.
Ich entscheide mich aufgrund der fortgeschrittenen Uhrzeit den Nachbarn zuliebe für die Earpods, und dann heisst es, wie immer: Drück aufs Knöpfchen Max!
Deeper
Synthiesounds gemischt mit rockigen Gitarren, einer verträumten Frauenstimme, monsterhaften männlichen Echos überraschen mich angenehm, als ich mir das erste Stück anhöre. «Emo», schiesst mir ein Wort in den Sinn, das in den letzten Jahren häufig verwendet wurde.
Depeche Mode, Synth-Wave, New Wave, vielleicht irgendwo in diesen Gefilden könnte man den Stil ansiedeln, aber ich bin mir nicht ganz sicher.
Melancholisch, vielleicht sogar ein bisschen morbide, schwingt sich die eingängige Melodie über eine knallharte, programmierte Backline, mit viel Hall klingt alles recht rund und eingängig.
Grufties aller Länder: Erhebet Euch aus Euren Särgen!
Good Boy
Bei Song Nummer zwei beginnt eine Frauenstimme durch ein Megaphon, auch, wie alle Stimmen, mit langem Hall: «You have no choice but to do what I say». Der Synthbass klingt entweder echt analog oder er ist vielleicht mit Logics Retro Synth programmiert. Er tänzelt in typischem 80er-Jahre Stil herum. Die an sich eher wenigen Akkorde spielen bisweilen mit gleitenden Wechseln zwischen Dur und Moll.
Das Stück bleibt lange in einer Art Halftime, Midtempo, bis bei etwa drei Viertel ein paar Sekunden richtiger Diskopop loslegt. Ja, das hiess damals Disko hierzulanden.
Nach meinem Geschmack ist dieser tanzbare Abschnitt aber viel zu kurz, sie kehren schnell zurück zum 16-Halfbeat. Die Gitarre ist auch in diesem Stil mit viel Hall und Delay gehalten, die hohen Töne sind im Solo präzise gesetzt und erinnern rein vom Klang her an Van Halen, doch ohne die schnellen Virtuositäten, die aber auch nicht fehlen. Jeder Ton dient der Melodie.
Freedom - The Heart of Revolution
Auch hier beginnt eine Art Marimbaklang, ein synthetisches Xylophon, dahinter wieder ein geschredderter, (damit meine ich, ein mit Tremolo zerstückelter) Orgelsound, der rhytmisch praktisch das Hi-Hat ersetzt.
Vom Stil her bleibt es systemimmanent, dem Stil treu. Die tiefe Männerstimme hat einen ganz schönen Range und ist immer mit ganzen Armeen hinterlegt. In den Tiefen erinnert sie an den «Graf» von Unheilig.
Eine Stimme rappt am Anfang dazu, klingt nach DJ Bobo. Was
sie mir sagen wollen, verstehe ich nicht wirklich im Moment, da ich gar nicht
darauf achten.
Das programmierte Drum ist zwar wirklich fett in den Kicks, aber mir persönlich erzeugt es zeitweise viel zu wenig Flow. Entweder sind es Programmierfehler, sind die Ungenauigkeiten durch Quantisieren zu echten Fehlern geworden, oder man wollte es künstlich komplexer gestalten, das rhythmische Rad neu erfinden, Das wollen häufig Leute, die noch nicht so lange Beats programmieren und meistens selbst keine Drummer sind. Oder ganz exzentrische Künstler.
Mit der Zeit gibt sich das dann von alleine und man lässt die Spielereien.
Anahata Rising
Ein Orgelarpeggiator und erneut das Drum, das mir sonderbar bekannt vorkommt. Vielleicht ist es gar nicht ganz in einem Midiprogramm programmiert, sondern es könnte auch aus einem Synth wie dem M1 von Korg stammen. Eine tiefe Stimme spricht mystisch dazu. Das Tempo ist etwa wieder dasselbe. Aufwändige Chöre und, das muss man sagen, eine abwechslungsreiche Komposition, viele Details wechseln sich andauernd ab.
Gerade klingt es wie Highlander, recht pathetisch. Schade, hier finde ich den Mix billig, die Idee wäre toll.
Doch wundersamerweise hat man hier auf einmal bei gewissen Männerstimmen auf den Hall und zusätzliche Effekte praktisch verzichtet, sodass sie wie aufgesetzt klingen. Die Stimmen wären an sich auch sicher ohne Beanstandung und durchaus gekonnt. Die Dame singt ein sehr schönes, laszives Legato, der Herr ist sehr vielfältig, von sanft bis Fullpower.
Vielleicht würde es sich manchmal für Homestudios lohnen, einen Profi zurate zu ziehen. Man muss nicht alles selbst machen, habe ich mir auch hinter die Ohren geschrieben. Im Zeitalter des Internets im globalen Wettbewerb kostet das nicht mehr alle Welt. Aber eben: Man kann auch sagen, das sei alles Absicht, und auch das akzeptiere ich persönlich, nicht jedoch der Mainstream.
Reine Töne
Oh, Deutschrap. In einer angenehmen Sprechstimme flowt der Rapper recht gut. Wenn alles, ausser der Damenstimme, von Stevie K. kommt, von ihm gesungen, komponiert, aufgenommen, arrangiert, programmiert und gespielt ist, ist der mir unbekannte Herr sicher ein Talent, denn ich weiss sehr wohl, wie anspruchsvoll das ist. Jedoch, wie gesagt: Warum denn alles selbst machen? Um zu beweisen, dass man es kann? Genau das hatte man mich auch gefragt.
Vom Text her geht es um eine Liebe, die losgelassen wird. Manchmal ein wenig esoterisch angehaucht.
Mir gefällt hier besonders der Refrain, der sauber und wunderschön 2-stimmig gesungen ein Ohrwurm werden könnte, sobald vielleicht noch ein anderer Produzent seine Finger im Spiel hat und dem ganzen ein wenig mehr Mainstream-Touch verleiht. Geschmacksache.
Play the fucking Disco Groove
Nur rein vom Titel her scheint sich der Songschreiber auch tatsächlich bewusst mit dem Rhythmus auseinandergesetzt haben. Also waren die Programmings vorher doch Absicht, man wollte dem Mainstream entfliehen. Mea culpa.
Hier groovt es besser, das Schlagzeug klingt nur teilweise oder gar nicht programmiert, das meiste ist sicher live. Ich frage mich, warum genau hier ein echtes oder echt klingendes Drum eingesetzt wurde, beim typischen Discostampfer?
Die Gitarren spielen schnelle 16-tel Ridings, den Rhythmus, den Pferdehufe beim Galoppieren machen. Sie haben vielleicht, um es zu beschreiben, stellenweise etwas von ZZ Tops «Gimme All Your Lovin».
Das Solo am Schluss ist im Stil Satriani. Nach mir müsste es nicht sein, aber man will doch zeigen, was man kann.
Ja, ich nehme immer noch den eigenwilligen Mix war, wie bei den meisten Stücken, doch immer anders eigenartig. Ein Gemische, das auf alle Konventionen verzichtet, vielleicht aus Unerfahrenheit, vielleicht aus Selbstgefälligkeit, vielleicht aus bewusstem Kunstschaffen heraus... Wer bin ich schon, das zu beurteilen?
Jedoch muss man auch sagen: Ebenso klingt die Experimentierfreude und eine unzensurierte Energie der beiden heraus, wenn sie alle möglichen Effekte auf alle möglichen Stimmen legen. Sie klingen dafür frei und ungezähmt, und ich möchte die beiden gerne einmal live sehen. Ein wenig «freifliegender Alt-Hippie» ist da sicher mit dabei.
Und dass viel Arbeit dahintersteckt, weiss auch nur einer, der das einmal selbst gemacht hat. Es ist nämlich schon genug schwierig, eine Idee bei so vielen Möglichkeiten und ohne jahrelange Erfahrung oder Schulung auch nur annähernd zum Klingen zu bringen, denn man benutzt meistens entweder viel zu viele Effekte, oder dann, wenn es eines bräuchte, genau das falsche Plug-in.
Ich nehme mich da überhaupt nicht aus, im Gegenteil, spreche aus Erfahrung.
Take off
Schöne Synth-Arpeggios, harmonisch gesetzte Synthstrings, ein Shreddersynth, wie ich die sequenzierten, (eben: zerhackten) Synthklänge nenne, eröffnen den Start zum Abflug. Eine singende Säge, nein, Scherz, eine Frauenstimme wie bei Startrek, die klingt wie ein Theremin, aber wahrscheinlich ein Synth ist, mit Stringsarpeggios und den üblichen Chören und Hällen unterlegt, führen die Startsequenz fort.
Eine Rapstimme growlt hier, - nein, umgekehrt, eine Growl- Stimme rappt hier. Als Growlen bezeichnet man einen gutturalen Gesang, bei welchem der Kehlkopf unten zusammengepresst wird.
Als wenn man sich räuspern würde, vielleicht.
Die Engländer nennen es manchmal auch «Throatsinging». Es klingt ziemlich tief und heiser, auch auf eine Art böse. Häufig wird diese Art zu singen im Deathmetal und Konsorte benutzt.
Zu Giti-Stakkati und einem soliden Grundbeat, einem Sechzehnbeat, passt das eigentümlicherweise ganz gut.
Damit es sich auch der Laie vorstellen kann: Wahrscheinlich kennt ihr noch «Küss die Hand Herr Kerkermeister» der österreichischen Blödel-Genies von EAV. Etwa so ein Rhythmus ist hier unterlegt, das ist ein Sechzehnbeat.
Die Arpeggios (zerlegte Akkorde) sind wirklich überall gut gemacht, und richtig erhebend licht wird es, als die Harmonieabfolge zwischendurch in reine Durklänge auflöst.
Vielleicht standen bei diesem Stück Major Tom von Peter Schilling, Düse im Sauseschritt von DÖF und irgendeine unchristliche Blackmetalcombo Pate, denke ich mir.
Die Mischung ist vielfältig und fantasievoll, die Komposition akkordisch sehr schön gesetzt.
Der Blinde
Erneut gefällt mir der Deutschrap. Akzent ist praktisch keiner hörbar, zumindest keiner aus der Schweiz. All das wird wieder, sehr prominent, von Synth- und Gitarrenarpeggios im Stile «Mission Impossible, Theme» von U2 getragen. Auch Riffs und hohe Solis decken (leider) jede Lücke.
Es geht inhaltlich um die dystopische Auseinandersetzung zwischen Schein und Sein, Lüge und Wahrheit, Indoktrination und Co. Nur die Liebe löst alles auf.
Dazwischen erklingen dämonische Einwürfe wie aus dem Theater, weibliche Lautsprecherdurchsagen, alles sehr dicht. Hier wurde wieder versucht, den Beat etwas spezieller zu programmieren, da die Synths ja sowieso den Rhythmus vorgeben.
Phenomenal
Auch der letzte Track ist Anfang bis Schluss von Syntharpeggios, ursprünglich zum Beispiel von einem analogen Juno-60 oder 80, und recht schwer beherrschbar. Heutzutage sind sie relativ einfach zu machen, indem man einfach das Tempo angibt und einen Regler herumschiebt, um den Klang zu verändern. Man kann sie alle auch von Hand spielen, indem man alles einfach bei der Aufnahme langsamer laufen lässt. Trotzdem gefallen sie sicher manchem immer noch, und auch ich selbst habe sie gerne. Im Text geht es um Stevie K. selbst, dass er halb Dj sei, und Stücke mache, um mit der Stimme dazu zu rappen. Er wolle den Zuhörer auf einen höheren Ground bringen. Die Spannung nimmt immer zu, jedoch richtig zum Schuss kommt er dann doch nicht, sondern er spielt ein Solo darüber.
Fazit: Soundtechnisch sehr abwechslungsreicher «Synthwaverock», der sehr mit vielen Details teils Vampir-Epen oder Fantasydramen entsprungen scheint. Wer viele 80er Syntharpeggios liebt, wird bei Stevie K. Satt bedient. Das Tempo bleibt jedoch meistens gemässigt, ausser bei ein bis zwei Ausnahmen. Am Gesang ist nichts zu rütteln, die Texte sind halb melancholisch, ein wenig esoterisch, pathetisch und abwechslungsreich in Deutsch und Englisch vorgetragen. Besonders gefiel mir auch die weibliche Stimme dazu.
Tja, was soll man sagen: Man hört deutlich, dass hier zwar ein vielfältiger Künstler am Werk ist, der gerne mit Klängen und Effekten experimentiert: Ein Komponist und Keyboarder oder Keyboardprogrammierer, der auch solide Gitarre spielt oder Samples geschickt einsetzt. Einer, der seine wandelbare Stimme vielfältig einsetzen kann; einer, der kurzum ein Allrounder ist und wahrscheinlich alles in aufwändiger Heimarbeit produziert hat. Das respektiere ich, es kommt dadurch auch eigenartiger, - im guten Sinne -, Soundteppich daher, jedoch nicht aus einem Guss und ich halte ein paar Stücke auch kaum für radiotauglich so.
Also, wenn ich jetzt ganz ehrlich bin: Ich höre hier todsicher ein grosses Talent, auch sehr viel Elan und Kreativität heraus. Ein Multitalent, das vielleicht aber auch manchmal ein wenig zu überzeugt von sich selbst ist und vielleicht darum während des Produzierens wenig oder gar keine Vergleiche zu ähnlichen Platten von anderen gezogen hat, was selbst Top-Cracks tun. Ich glaube zwar, gehört zu haben, dass noch jemand gemischt hat, ein Amplitude oder so, aber ich bin mir nicht sicher. Und gleichzeitig eben einer, der alles zeigen will, was er kann. Manche Samples scheinen mir, ich äussere den Verdacht jetzt trotzdem noch, aus der Apple Sound Library, und eher zufällig noch als passend empfunden, als bewusst ausgewählt. Auch das schreibe ich aus ureigenster Erfahrung.
Es wurde sicher Wert auf viele Details gelegt, so viele, dass jede Rastereinheit mit einem eigenen Ton besetzt wurde, so dicht kommt das Ganze daher. Auch an Hallen wurde wahrlich nicht gespart, was dem Ganzen aber eben diesen damaligen New/Dark Wave Charakter verleiht.
Ich bin überzeugt, wenn da einmal ein erfahrener Producer mitsprechen darf, der unnötige Experimente erbarmungslos rauswirft, alles aufs Wesentliche reduziert, Mut zur Lücke hat und dann to the Edge mischt, wäre die Platte sicher massentauglicher, wenn das überhaupt gewünscht ist.
Obwohl ich jetzt wieder Kritik geübt habe:
Ich selbst mag solche eigenwillige Tüfteleien eigentlich, mache das häufig auch selbst und empfand das ganze Hörerlebnis insgesamt als spannend und eigenwillig, jedoch ein Ohr von mir ist halt mittlerweile auf Mainstreamhits getrimmt.
Aus dem Netz:
Erst jetzt schaue ich im Netz nach, und finde Stevie K. alias Steffen Krausse.
Das ist für mich immer wie der Moment in 1,2, oder 3: Ob ihr richtig steht, sagt euch, wenn das Licht angeht.
Ja, er beschreibt seine Musik selbst auch nicht viel anders als ich, z.B. als Darkwave.
Er ist auch Unterhaltungsmusiker und spielt auch eigenes mit Band, (Stevie Krausse and the Bangbangs).
Der Künstler stammt ursprünglich aus Deutschland, auf ein paar Bildern mit dunkel gefärbten Augenringen, wie ich es mir insgeheim gedacht hatte. Auch seine Videos sind sehr kreativ und frei gestaltet. Die Dame mit der schönen Stimme ist vermutlich Luana Jil, irgendwo las ich etwas von Mr. Amplitüde, doch ich finde es gerade nicht mehr.
Ob ich mich sonst bei den Produzenten masslos geirrt habe, oder die ganze Band mitspielt, müsst ihr bitte selbst herausfinden, denn es ist jetzt nämlich schon halb sechs Uhr morgens, also nichts für ungut...
Hier ist seine Homepage: https://www.steffenkrausse.ch/
Am 29. Okt. kommt sein Album: Freedom – The heart of Revolution heraus.