Evangelion mit erstem Album
Das mit der EP begonnenen textliche Konzept, welches sich neben den religiösen und
politischen Konflikten auch mit den Auswirkungen auf die Menschen in der Zeit
vom 30-jährigen Krieg in der Region um den heutigen Schweizer Kanton Graubünden
beschäftigt, wird auf dem Debut Album «Revelations or the Spawn of Greed and
War» weitergeführt.
Obwohl
textlich keine lineare Geschichte erzählt wird, verbinden immer wieder
auftauchende Riffs und Elemente die Songs untereinander und erschaffen ein
zusammenhängendes Werk, das auch die EP miteinbezieht. Die bereits auf der EP
vorhandene stilistische Mischung aus 90er Jahre BM schwedischer Prägung und
Doom sowie auch die Kombination von Screams und Klargesang, wurde auf dem
Longplayer verfeinert und erreicht eine Ausdruckskraft wie sie heutzutage kaum
mehr im Black Metal zu finden ist. Was noch alles dahinter steckt, welche Rolle
Jürg Jenatsch spielt und vieles mehr haben wir beim Frontmann und Namensgeber
Evangelion nachgefragt.
Gratulation zum neuen Album. Wie lange hat die
Produktion gedauert?
Danke,
ich bin sehr zufrieden mit dem Album. Ich habe das ganze Jahr 2020 mit dem
Komponieren, der Vorproduktion und der Konzeption verbracht. Wegen dem ganzen
Coronadebakel hatte ich viel Zeit zuhause und es gab kaum andere Ablenkungen.
So konnte ich tief in die Geschichte eintauchen und die Texte und Musik
detailliert ausarbeiten.
In der ersten Jahreshälfte vom 2021 wurden dann alle Aufnahmen, Mix und
Mastering abgeschlossen. Ich habe also fast 2 Jahre daran gearbeitet. Dass das
Album noch im 2021 erscheint, ist fantastisch, denn es sind genau 400 Jahre nach
den erzählten Ereignissen.
Ihr hattet als Projekt fast 20 Jahre Pause. Warum hast du das Projekt damals
trotzdem reaktiviert?
Schon Ende der 1990er Jahre wollte ich schnelle und langsame Musikstile
kombinieren, also die beiden Extreme Death/Black Metal und Doom Metal.
Ich konnte aber im Engadin nie eine Band zusammenstellen und so habe ich eine
Zeit lang alleine Ideen gesammelt und hauptsächlich Song- und Melodiefragmente
mit einzelnen Instrumenten aufgenommen.
2017 habe ich bei einem Umzug in einer Schublade diese Tapes, MiniDiscs und die
Textideen wieder entdeckt. In einem Anflug von Nostalgie habe ich mir angehört
was ich da als Teenager aufgenommen habe und da waren überraschenderweise
durchaus solide Ideen und sogar fast fertige und brauchbare Songs dabei.
Zu dieser Zeit habe ich gerade auch neue Notations- und Recordingsoftware
ausprobiert. Aus Spass habe ich dann einfach einen der Songs mit diesen
Programmen zu Ende arrangiert und ein Demo aufgenommen. Als ich dieses Demo
einem Freund vorgespielt habe, hat er gemeint, das vermittle dieses frische «Sturm
und Drang» Gefühl von damals und ich solle das doch sauber aufnehmen und
veröffentlichen. Ich habe also nach Musikern gesucht, die mir die Instrumente
professionell einspielen würden und habe dann Idee um Idee zu kompletten Songs
ausgearbeitet. Es kam zu einem Deal bei Auric Records, 2019 wurde die EP
veröffentlicht und nun kommt der erste Longplayer. Das ist alles überraschend
schnell und problemlos gelaufen und ich hatte dabei unglaublich viel Spass.
Evangelion sehe ich als meine kleine Ego-Show an, deswegen gibt es auch keinen «Bandnamen».
Nach den ganzen Bands und Projekten in den letzten 20 Jahren, war es mir hier
sehr wichtig, die alleinige Kontrolle über meine Kreation zu haben.
Wird es mit Evangelion auch Liveshows geben oder ist es eine reine
Studiogeschichte?
Evangelion
war von Anfang an als Solo- und Studioprojekt gedacht, bei dem es ums
Komponieren und Aufnehmen geht. Und ich will beim Komponieren nicht an eine
etwaige Liveumsetzung denken und deswegen Kompromisse eingehen müssen. Es
müssten eh wohl mehr als 5 Musiker auf der Bühne stehen und mit Einspielungen
und Samples gearbeitet werden, aber das ist für Auftritte im kleinen Rahmen zu
aufwendig. Die vielen Stunden die zum Einüben und organisieren benötigt werden,
investiere ich lieber in das Komponieren neuer Songs. Aber als einmalige,
speziell inszenierte Show könnte ich es mir durchaus vorstellen.
Während viele Metaler ein wenig ruhiger werden aufs Alter, bleibt ihr euren
Wurzeln treu. Was fasziniert dich heute noch an den harten Klängen?
Naja,
es gibt Musiker die im Pensionsalter sind und immer noch harte und schnelle
Musik spielen.
Hart ist also eher eine Definitionsfrage. Bezieht sich die lediglich auf den
Einsatz von elektrischen Gitarren oder darauf, ob die Musik auf Schönklang und
Kitsch verzichtet? Ein Jazz oder Pop Stück kann nämlich genau so hart sein wie
ein Black oder Death Metal Song.
An den harten Klängen fasziniert mich die Energie und die Eigenschaft, dass
damit das ganze Gefühlsspektrum transportiert werden kann. Auf meinem Album
hört man zum Beispiel akustische Gitarren, Chorgesang und sogar
soundtrackartige Synthie-Ambientstücke, und alles passt trotzdem zu der
übergeordneten «harten» Stilistik.
Metal ist vielfach anspruchsvoll wie klassische Musik, wird aber gerne mal als
Lärm verschrien. Inwiefern ist es dir wichtig für den Musikstil einzustehen?
Wenn ich darauf angesprochen werde, versuche ich meistens die Dinge richtig
zu stellen und auf die spielerischen und kompositorischen Leistungen aufmerksam
zu machen. Aber man kann niemanden dazu zwingen, diese Art von Musik gut zu
finden. Das wäre auch nicht der richtige weg. Die meisten bezeichnen diese
Musik als Lärm, weil sie nicht genau hingehört und versucht haben zu verstehen,
was vor geht und was damit ausgedrückt werden will. Um etwas zu verstehen,
braucht es Zeit, Geduld und man muss es idealerweise auch wollen. Metal ist
also nicht für den Gelegenheitshörer.
Ich muss sagen, in der Regel sind die Metaler sehr offen gegenüber anderen Musikrichtungen. Die Meisten hören auch Pop, Jazz oder Hip Hop.
Eure Texte behandeln die Bündner Geschichte. Wie wichtig ist es euch, möglichst
authentisch, was alles geschehen ist, nachzuzeichnen?
Die
Texte basieren auf das, was in den Geschichtsbüchern niedergeschrieben wurde.
Daten, Personen und Geschehnisse stimmen. Sogar gewisse musikalische Details
habe ich an die Musik dieser Epoche angelehnt und romanische und lateinische
Textpassagen eingebaut (und ja, Englisch ist halt für mich die Sprache der
Rockmusik, deshalb benutze ich sie auch hauptsätzlich). Ich habe mir aber die
künstlerische Freiheit genommen, Legenden und Mythen mit einzubeziehen und
gewisse Schicksale und Geschichten, so wie sie sein hätten können, selber
hinzuzudichten. «The Deathsman» zum Beispiel, beschäftigt sich mit den Gedanken
eines Scharfrichters und «From Pandemonium» ist ein Klagelied eines Bürgers,
der Familie und Besitzt wegen dem Krieg verloren hat.
Auch wenn ich mich sehr eingehend mit der Thematik beschäftigt habe, schlussendlich habe ich nur Texte und Musikstücke geschrieben und nicht eine Doktorarbeit.
Was fasziniert dich an der Geschichte von Jürg Jenatsch?
Ich
bin im Engadin wortwörtlich im Schatten einer Burgruine aufgewachsen und das
Mittelalter und Geschichte allgemein, haben mich von klein auf fasziniert. Als
in der Schule im Geschichtsunterricht die Zeit vom 30-jährigen Krieg mit der
Entstehung vom Kanton Graubünden durchgenommen wurden, ist Jürg Jenatsch als
wichtige Figur im Spiel während der Bündner Wirren ausführlich behandelt
worden. Das ist mir natürlich geblieben. Die fast schon wahnwitzigen
Geschehnisse bieten sich auch irgendwie an, besungen zu werden. Ich meine, die
Intrigen und Morde und alles drum herum wären in jedem Blockbuster ein Highlight.
Und ein Religionskrieg als konzeptionelles Thema für Metal Songs war dann halt
- in Anbetracht auf den allseits bekannten teuflischen Ruf der Rockmusik -
schon eine ziemlich verführerische Wahl. Klischees hin oder her, haha.
Wie findet ihr die richtige Balance zwischen Nostalgie
und der Neuzeit?
Es
hilft sicher, dass die Songs auf Ideen aufbauen, die ich schon Ende der 90er
Jahre hatte. Da ist also die Nostalgie in Echt drin. Durch die musikalischen
Erfahrungen die ich in den letzten 20 Jahren gesammelt habe, als Musiker und
auch als Musikhörer, konnte ich also beide Welten verbinden.
Auf der anderen Seite muss ich sagen, beim Komponieren habe ich nie nach links
oder rechts geschaut oder auf irgendwelche Trends geachtet. Ich habe einfach
versucht, die Songs zu schreiben, die zu der Stimmung der erzählten Geschichte
passen. Und Textlich ist das Thema traurigerweise sowieso immer aktuell.
Was sagt der Blick in die Zukunft?
Erst Mal bin ich natürlich gespannt auf
die Resonanzen zum neuen Album. Momentan experimentiere ich mit elektronischen
Sounds und freieren Kompositionstechniken, also Improvisation und Looping. Auch
erforsche ich immer gerne neue Musikstile und entdecke neue Bands. Es ist immer
sinnvoll, über den stilistischen Tellerrand zu schauen. So entdeckt man ganz
neue Ausdrucksformen die man für sich nutzen kann. Auf zukünftigen
Evangelion-Veröffentlichungen werden diese neuen Einflüsse sicher auch ihre
Auswirkungen haben und den Sound erweitern und weiter entwickeln. Es gibt
nämlich in meinen Augen nichts Schlimmeres für einen Künstler, als sich zu
wiederholen.
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Bandcamp: https://auricrecords.bandcamp.com/album/revelations-or-the-spawn-of-greed-and-war