Die Hoffnung der Geflohenen
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Die Hoffnung der Geflohenen

Bedrückt und aufgewühlt bin ich, nachdem ich das Buch «Kein Freund ausser den Bergen» des Autors Behrouz Boochani gelesen habe. Es ist ein Buch über die Zustände in einem australischen Internierungslager abgewiesener Flüchtlinge. Bedrückt durch die unfassbare Gewalt der australischen Flüchtlingspolitik und aufgewühlt durch die Art und Weise wie Behrouz und hunderte weitere Gefangene auf der Insel Manus Gewalt und Folter erleben mussten. Es ist ein gewaltiges Buch, geschrieben in einem Gefängnis am Rande der Welt.


Behrouz Boochani ist ein kurdischstämmiger Journalist. Geboren und aufgewachsen im Iran. Im Frühjahr 2013 verliess Boochani seine Heimat, da sein Leben durch seine Arbeit bei einer liberalen Zeitschrift gefährdet war. Über Indonesien versuchte er nach Australien zu flüchten und wurde durch den australischen Grenzschutz aufgegriffen und für mehr als sechs Jahre auf der pazifischen Insel Manus in Einwanderungshaft gehalten. Im Jahr 2019 konnte er nach Neuseeland ausreisen und ist seitdem ein freier Mensch.


Sechs lange Jahre wurden Behrouz Boochani und unzählige weitere Menschen in einer Zwischenwelt festgehalten. Niemand wollte sie. Das Land aus dem sie geflohen sind, wollte und will diese Menschen vielleicht immer noch ins Gefängnis werfen oder foltern und umbringen. Das Land in das sie wollten, Australien, will sie nicht aufnehmen. Warum ist die australische Regierung so herzlos, so kalt und weist heimatlose Menschen ab? Weshalb denken manche Menschen, die Geflüchteten nähmen ihnen Hab und Gut und Arbeit weg? Wer oder was nährt diese Angst? Weshalb musste Behrouz Boochani sechs lange Jahre auf einer kleinen Insel im Pazifik verbringen?


Weich ist stärker als hart /

Wasser stärker als Fels /

Liebe stärker als Gewalt /


In Europa ist die Situation kaum anders. In den vergangenen Jahren trafen Hunderttausende Menschen aus verschiedensten Ländern der Erde ein, Menschen, deren Lebensgrundlage zerstört wurde. Die Hoffnung auf ein Leben in der Heimat wurde ihnen genommen. Sie fliehen, versuchen sich anderswo ein neues Leben aufzubauen, unter Einsatz ihres Lebens versuchen sie mit aller Macht aus der zerstörten Heimat, aus der bedrohlichen und unterdrückenden Heimat zu fliehen. Irgendwann auf ihrer Reise erreichen sie europäisches Gebiet. Erleichtert gelangen sie an die Grenze Europas, doch statt Mitgefühl und Zuneigung erleben sie Abweisung und Fremdenfeindlichkeit. Der Grenzschutz hat Befehl Schiffe die tagelang in der Hitze des Mittelmeers dahingetuckert waren, zurückzusenden, zurückzusenden an eine Küste des Elends und der Verwüstung. Die Politiker, die bestimmen ob und wie viele Menschen in ihr Land einreisen dürfen, sind oftmals zu rational und kaltherzig. Für mich ist es selbstverständlicher Akt der Menschlichkeit, Menschen, die gelitten haben eine helfende Hand zu reichen.


Weshalb flüchten Menschen aus Afrika? Weil die Europäer bei ihrer grossartigen Kolonisation die afrikanischen Urvölker entzweit und vernichtet hatten. Viele Afrikaner haben keine Vergangenheit, sie scheinen keine Herkunft, keine wirkliche Identität zu haben.


Unzählige afrikanische Länder sind ohne Identität, ohne gerechte Führung. Die grenzenlose Gier skrupelloser Unternehmungen beutet afrikanischen Boden und afrikanische Menschen aus. Skrupellose und korrupte Regierungen tolerieren diese, da sie persönliche Vorteile daraus gewinnen. Wir, in unserer Funktion als Konsumenten tragen ebenfalls einen Teil der Verantwortung. Durch unseren unbedachten Konsum von Waren, welche unter ungerechten Bedingungen geschaffen wurden, fördern wir Ungleichheit und Leid.


Weshalb flüchteten Millionen von Afghanen aus ihrem Land? Weshalb starben in den letzten zwanzig Jahren über einhunderttausend afghanische Zivilisten? Beim Anschlag extremistischer Gruppierungen auf mehrere weltbekannte Gebäude in den USA starben zweitausendneunhundertsechsundneunzig Menschen.


Weshalb marschierte die USA in Afghanistan ein? Weshalb brachte das Land, das den Anspruch auf den Inbegriff der Demokratie, Gleichheit und Freiheit stellt, so viel Leid über ein Land am anderen Ende der Welt? Weshalb ist die USA fast genauso strikt mit der Ausweisung von Geflüchteten wie Australien? Beide Länder sind gezeichnet durch Auswanderung und Neuaufbau. Wann entstand die Mentalität, dass dies nun zu Ende ist? Wie entstand die Mentalität, dass eine Person, welche auf internationale Hilfe angewiesen ist, eine kriminelle Person ist? Wer ist schuld an solchem Denken? Welche Tat folgte auf welche? So viel Leid und kein Ende in Sicht.


Das Problem liegt meiner Meinung nach in der Unterdrückung von Minderheiten. Es liegt in der systematischen Verfolgung und Tötung andersdenkender. Es liegt am Machtstreben einiger weniger Menschen.


Die Zahlen der Geflüchteten die da und dort in Europa angelangt sind, die wir in den Medien lasen – jeder einzelne ist ein Mensch. Die Rede war teilweise von illegalen Flüchtlingen und genau hier müssen wir achtgeben, denn es kann nicht sein, dass ein Mensch als illegal bezeichnet wird. Kein Mensch ist illegal!


Die Kriege gegen die Ungerechtigkeit hat viele Fronten. Ich kann unmöglich an mehreren gleichzeitig kämpfen. Frust und Hoffnungslosigkeit überkam mich, als ich Kein Freund ausser den Bergen las. Lange Tage und Nächte beschäftigen mich die darin beschriebenen Geschehnisse und hinterliessen ein Loch in meiner Seele. Ein Loch, entstanden durch das Schwinden meiner Hoffnung auf Gerechtigkeit und durch das Wachsen meiner Traurigkeit. Ich bin kein Krieger des Schwertes, kein Krieger, der mit Fäusten kämpfen kann. Ich bin ein Krieger der Worte und nutze meine Stimme, um auf diese unmöglichen Zustände hinzuweisen.


Das genannte Buch und viele Berichte von Behrouz Boochani über seine Einwanderungshaft sind so lebendig geschrieben, dass mir nichts Anderes übrigbleibt als jedes Wort in mein Herz zu schliessen. Es scheint die ganze Wahrheit einer traurigen Geschichte zu sein, die bis heute andauert. Eine Wahrheit, die schwer zu ertragen ist. Eine Wahrheit, welche die Menschen über lange Zeit zum Nachdenken bringen wird und aus welcher gutes entstehen kann.


Falls du der Meinung bist, dieses Buch ist nichts für deine Nerven, behalte bitte folgendes in deinem Herzen und lasse dein Herz niemals zu gefühlslosem Stein erstarren:

Kein Mensch ist illegal!

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