Chur mit eigenem Adventskalender
Lieber Andi, das Coronajahr neigt sich langsam dem Ende zu. Wie schwierig war es für dich 2020 als Berufsmusiker?
Ich bezeichne mich eigentlich als «Teilzeit-Berufsmusiker» denn wie der grösste Teil der CH-Musiker*innen bin ich auch als Musikpädagoge, sprich Lehrperson an einer Musikschule tätig. Beide Tätigkeiten führe ich mit Herzblut durch. Der Unterricht wurde während des ersten Lockdowns mit Hilfe von Fernunterricht weitergeführt, aktuell findet der Musikunterricht mit Einhaltung von Abstands- und Hygienemassnahmen regulär statt. Als Musiker war das 2020 wahrlich nicht einfach. Die ganze Corona-Krise zeigt uns auch wie fragil unsere Gesellschaft und unser System ist. Wer hätte es vor einem Jahr für möglich gehalten, dass eine Pandemie so gravierende Folgen hätte? Das Virus hat vieles verunmöglicht, doch ich bin überzeugt, dass das Verlangen nach kulturellen Veranstaltungen sehr gross ist, ist Qultur doch ein wichtiger Teil des «Menschseins». Persönlich fand ich es einfach sehr schwierig, dass Projekte in welche viel Vorbereitungszeit und Vorarbeit geleistet wurden sich in Luft aufgelöst haben.
Was hat dabei gut funktioniert?
Ich habe das Glück mit vielen kreativen Kulturschaffenden vernetzt zu sein, da sind ganz viele positive neue Sachen entstanden. So hat beispielsweise JazzChur immer einen Weg gefunden sich zu positionieren und an das Publikum zu treten. Auch mit der deutschen Formation Stubenjazz findet immer wieder etwas online statt. Qulturschaffenden wird ja nicht zu Unrecht nachgesagt kreativ zu sein und dies hat oft funktioniert und auch neue Zusammenarbeiten gefördert.
Was eher nicht so?
Natürlich sind die finanziellen Einbussen ein Problem und das in einer Branche, welche per se unterbezahlt ist. Auch wenn viele Qulturschaffende Ausfallentschädigungen bekommen haben so ist die Zukunft sehr ungewiss, denn es bedarf ja auch für die Zukunft Möglichkeiten aufzutreten und da stecken viele Veranstalter in finanziell schlechter Position und sind mit der Programmierung sehr vorsichtig. Bei den meisten Musiker*innen ist auch die Agenda 2021 ganz schön leer. Hinzu kommt, dass mit der aktuellen Streamingsituation quasi ausschliesslich an Konzerten Einnahmen generiert werden können. Von Tonträgerverkäufen oder Streamingdiensten gibt es quasi null Einnahmen.
Wie fest fehlt dir das Auftreten?
Qulturelle Anlässe wie Konzerte, Theater usw. sind ja sowohl für die Künstler wie viele für das Publikum wichtige Pfeiler des qulturellen Schaffens. Selbstverständlich sehne ich mich danach wieder unbeschwert auch mal auf und im engem Raum zu spielen. Es sind ja nicht ganz alle Konzerte abgesagt worden. Aktuell sind kleinere Formationen eher gefragt. So spiele ich vermehrt in Duo-Besetzung wie mit Michael Neff, Nyna oder Christina Riesch. Aber ich freue mich auch darauf wenn’s dann wieder lauter und eng auf der Bühne wird…
Auch das Churerfest, welches für viele Künstler eine erste grosse Bühne bietet, wurde vor wenigen Tagen abgesagt. Wie nachdenklich stimmt dich das?
Die Reaktionen auf Social Media sind schon heftig aber es ist immer einfacher zu reklamieren, als zu entscheiden. Ich persönlich empfinde den Entscheid auch als sehr früh, aber es würde ja auch keinen Sinn machen mit der Bekanntgabe der Absage ein paar Monate abzuwarten, wenn der Entscheid schon jetzt gefallen ist. Es scheint zurzeit halt so dass die Situation noch nicht reif für Grossveranstaltungen ist, bei denen sich grosse Menschenmassen «unkontrolliert» zusammenfinden. Das Churer Fest ist ja unterdessen schon eine Tradition, obwohl es ja eigentlich aus dem früheren Jugendfest entstanden ist. Tatsache ist aber auch, dass das Churer Fest ein ziemlich kommerzieller Anlass geworden ist, was nicht per se negativ ist aber aus qultureller Sicht finde ich es, abgesehen von kleinen Ausnahmen wie beispielsweise dem tolle Programm auf dem Hegisplatz nicht so prickelnd.
Wir haben dieses Jahr ja mit der Aktion «Chur offa» gezeigt, dass es auch kleiner und feiner geht – ein kleines Churer Fest ohne Stände, ohne Menschenmassen, einfach sympathische Kleinstkonzerte in der Churer Altstadt. Das Echo war toll und ich möchte eine zweite Ausgabe von «Chur offa» vorerst nicht ausschliessen.
Du bist Musiker, aber auch in der Politik tätig. Wie schwierig war es für dich in diesem Jahr zwei unterschiedliche Hüte zu tragen?
Ich bin natürlich derselbe Mensch geblieben, auch wenn ich im Churer Gemeinderat auf meine geliebte Kopfbedeckung verzichten muss. Das Amt hat mir noch mehr aufgezeigt, wie viele Themen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden können. Das Abwägen von Argumenten ist nicht immer so eindeutig. Natürlich bin ich nicht über alle Entscheidungen erfreut, das gehört zur Demokratie. Allgemein wünschte ich mir aber etwas mehr Mut in der Politik, so beispielsweise bei der Qultur.
Im Advent setzt ihr mit dem Adventskalender ein Zeichen. Wie ist die Idee dazu entstanden?
Coronabedingt sind ja die meisten Adventsaktionen gestrichen oder angepasst worden.
Ende Oktober hat Jennifer Ribeiro Rudin mir eine Voicemail mit der Grundidee zu einem digitalen Adventskalender geschickt. Ich war natürlich sofort Feuer und Flamme für die Idee und dann musste alles sehr schnell gehen. Der Rahmen ist ja sehr klar: 24 Beiträge, also haben wir wild drauflos Churer Qulturschaffende angeschrieben und fast alle haben spontan zugesagt aber es gibt natürlich noch sehr viel mehr Qulturschaffende, welche dieses Mal noch nicht dabei sind (sorry an euch!). Da der ganze Qulturadventskalender ausschliesslich digital funktioniert, sind wir sehr froh mit Paolo Donnicola und Immanuel Giger zwei Leute ins Boot geholt zu haben, welche sich mit der Materie bestens auskennen, qulturell aber auch als Musiker aktiv sind.
Was verbirgt sich hinter den Türchen?
Glücklicherweise lautet die Frage nicht «wer», denn das ist ja das grosse Geheimnis und soll ja auch überraschen, wie bei einem richtigen Adventskalender.
Soviel soll verraten werden: Das Spektrum ist sehr breit. Formatbedingt (Videos bis ca. 5 Minuten) ist sehr viel Musik vertreten aber auch ein paar Lesungen und weitere Überraschungen sind dabei. Die Teilnehmenden sind bei der Gestaltung völlig frei. Von unserer Seite her gab es nur zwei Vorgaben: Die ungefähre Zeitangabe und eine gewisse Exklusivität zu bewahren, es handelt sich bei allen Beiträgen um Premieren. Stilistisch sind die musikalischen Beiträge sehr breit angelegt: Klassik, Pop, Singer/Songwriter, weihnächtliches und vieles mehr.
24 Tage zu füllen ist keine leichte Aufgabe. Wie waren die Reaktionen der Beteiligten?
Wir haben ausschliesslich positive Reaktionen erhalten. Es wird begrüsst die Plattform zur Verfügung zu stellen auch um zu zeigen «wir sind noch aktiv, auch wenn das Bühnenleben etwas reduziert ist». Es ist uns aber auch ein Anliegen zu erklären, dass Musiker jetzt nicht bis in alle Ewigkeiten von ein paar Komplimenten und Daumen nach oben leben können. Solche Aktionen sind immer eine Gratwanderung und wir möchten nie das Gefühl aufkommen lassen jemanden auszunutzen. Qultur hat ihren Wert und muss auch honoriert werden. Trotzdem bin ich auch der Überzeugung, dass dies einfach eine sympathische Aktion ist und wer möchte kann gerne etwas für die Teilnehmenden spenden.
Wie glücklich seid ihr mit dem Endresultat?
Unglaublich glücklich, ich habe noch nicht ganz alle Beiträge gesehen da noch nicht alle eingetroffen sind. Die Beiträge sind so individuell, wie die Personen welche dahinter stecken. Die Aktion hat eine unglaubliche Dynamik ausgelöst. Jemand hat zum ersten Mal selber einen Song komponiert, andere haben sich in den Wald begeben, um einen Song am Lagerfeuer zu spielen, es gibt einige Songpremieren und so weiter. Sehr, sehr spannend und herzerwärmend!
Sind weitere solche Projekte geplant für die Zukunft?
Der erste Churer Adventskalender oder Chur Offa zeigen, dass in recht kurzer Zeit aus einer spontanen Idee eine tolle Aktion resultieren kann. Insofern denke ich schon dass noch weitere Aktionen folgen werden aber freue ich mich vorerst auf den Qulturadventskalender.