Leben mit einer postpartalen Depression
Ilaria hat ihre Gefühlswelt für dieses Interview brachgelegt, damit andere Betroffene vielleicht ein bisschen Mut schöpfen können. Dafür ein grosses Dankeschön.
Ilaria, wieso möchtest du für dieses so wichtige Thema anonym bleiben?
Ich möchte nicht in den Medien stehen. Oder als Botschafterin für diese Krankheit dastehen. Ich bin eine unter tausenden, deshalb spielt es keine Rolle, wie ich hier genannt werde.
Wie ging es dir in der Schwangerschaft?
Die Schwangerschaft lief körperlich komplikationslos. Es ging mir gut, bis zum Ende. Ich bin froh, dass ich normal (vaginal) gebären konnte. Das war mein grösster Wunsch. Psychisch litt ich in meiner Schwangerschaft unter Panikattacken. Das hatte aber nichts mit der Schwangerschaft selbst zu tun, sondern kam von einem noch früheren Impuls her. Ich hatte Verlustängste, welche die Panikattacken hervorriefen.
Hattest du diese Panikattacken nach der Geburt immer noch? Denkst du, dass das etwas mit der postpartalen Depression zu tun hatte?
Nach der Geburt waren die Panikattacken weg. Das waren sie schon ein paar Wochen davor. Ich konnte nicht mehr. Wollte nicht mehr gegen diese Attacken kämpfen und liess sie aus lauter Kraftlosigkeit über mich ergehen. Und siehe da, sie verschwanden. Diese Verlustängste haben mich enorm Kraft gekostet, was meine Psyche mit Sicherheit beeinträchtigt hat. Sie kamen daher, weil ich eigentlich gar nicht natürlich schwanger werden konnte. Deshalb hatte ich Angst meinen Partner, alles zu verlieren. Ich habe aber gelesen, dass das Risiko an einer PPD zu erkranken höher ist, wenn man schon einmal unter einer psychischen Krankheit gelitten hat.
Wie hast du die Geburt deines Kindes erlebt?
Dieses überschwappende Glücksgefühl, das eine Frau eben haben sollte, hatteich leider nicht. Und genau dieses eben haben sollen, setzte mich unheimlich unter Druck. Die Geburt war bestimmt ganz normal. Natürlich war ich anschliessend fix und fertig. Ein Glückgefühl habe ich beim Anblick meines Babys leider nicht empfunden. Das Verantwortungsgefühl aber, stieg im Moment als ich das Baby zum ersten Mal halten konnte, ins Unermessliche.
Wann hast du gemerkt, dass etwas nicht mit dir stimmte?
Rückblickend schon direkt nach der Geburt. Mein Mann hatte Freudetränen in den Augen, während ich ihn leer ansah und das verschmierte Kind in den Armen hielt. Nicht nur mein Blick war leer, auch mein Innerstes. Als der Babyblues (die drei Heultage) im Spital vorbei war, durften wir nach Hause. Schon die kurze Fahrt war für mich eine Monsterprozedur. Ständig hatte ich Angst, dass unser Baby schreien würde, dass es jemanden stören könnte. Und mit der Zeit, wenn ich tagsüber mit ihm spazieren ging, fragte ich mich, wie ein schreiendes Baby denn überhaupt gesellschaftstauglich sei. Die Angst, jemanden mit dem Geschrei zu stören, war immens.
Konntest du dein Kind annehmen?
Ja. Gottseidank, ja. Ich hatte nie irgendwelche schreckliche Gedanken über mein Baby, ich liebte es von Anfang an. Es gibt natürlich Frauen, die furchtbare Gedanken ihrem Kind gegenüber hegen, und nichts dafürkönnen. Davon bin ich glücklicherweise verschont geblieben. Bei mir war mehr das Problem, dass die Ansprüche an mich selbst unerfüllbar waren.
Wie meinst du das?
Ich hatte immer das Gefühl, ich müsse das jetzt alles selbst schaffen. Auch vor dem Kind war ich nie der Typ gewesen, der sich Hilfe geholt hätte. Meine Mutter hat das auch geschafft, andere schaffen es auch mit vier, fünf, sechs Kindern. Das waren meine Gedanken. Immer wollte ich den Haushalt pico bello haben, das Stillen und Windeln wechseln kamen aber immer dazwischen. Dass mein Haushalt staubig war, entpuppte sich für mich zur Katastrophe. Ich dachte, ich alleine sei dafür zuständig, nachts für das Kind aufzustehen, abends das Kind in den Schlaf zu wiegeln, es wippend zu beruhigen, jedes Mal, wenn es schrie. Den Haushalt zu schmeissen, Essen für alle zu kochen, Einkaufen zu gehen usw. Dass ich noch einen Partner hatte, eine Mutter, einen Vater, die mir liebend gerne etwas abgenommen hätten, war mir damals alles andere als bewusst. Ich hatte sogar Angst vor völlig unbegründeten, alteingesessenen Reaktionen, wenn ich um Hilfe fragen würde, wie zum Beispiel: Was? Nicht einmal das kriegst du auf die Reihe? Wie habe ich das denn mit drei Kindern gemacht? Deshalb fragte ich nie. Nachts lag ich oft wie auf Nadeln im Bett und wartete, bis wieder nach mir verlangt wurde. Ich hatte immer das Gefühl, dass es nicht so schwierig sein kann, einen Haushalt zu schmeissen, nur weil jetzt ein Menschlein mehr im Haus ist, aber dass ich daran scheiterte, stresste mein Ego ungemein. Mit der Zeit funktionierte ich nur noch. Ich dachte, ich müsste von Anfang an eine neue Routine mit Kind haben, es würde alles natürlich laufen und unkompliziert sein.
Wie fühlte sich die postpartale Depression an?
Für jemanden, der nie darunter leiden musste, ist es höchstwahrscheinlich unbegreiflich. Man kann es nicht richtig beschreiben, weil es diese Gefühle im Repertoire eines gesunden Menschen nicht gibt. Das glaube ich zumindest. Für mich fühlte sich die Depression überaus einsam an. So einsam, wie ein Mensch im dunklen Weltall, isoliert, wie in einem Weltraumanzug, mit einer Glaskuppel vor dem Gesicht. Und lähmend. So lähmend wie der Anzug die Bewegungen dieses Menschen im All einschränkt. Dazu kam diese unglaubliche Überforderung mit der ganzen neuen Situation- dem Mama sein. Keine Zeit mehr für sich selbst zu haben, war wohl das Allerschlimmste für mich.
Das klingt überaus tragisch. Ein Kind zu bekommen zählt schliesslich zu den einschneidendsten Ereignissen eines Lebens. Wann und wie hat sich deine Gesundheit gebessert?
Der springende Punkt war die Erkenntnis. Die Erkenntnis, dass mit mir etwas nicht stimmte. Und das Akzeptieren, dass es ebenso war.
Das wusste ich damals nicht bewusst direkt nach der Geburt, sondern so richtig klar wurde es mir rückblickend nach dem ersten Jahr mit Kind. Schon ein paar Monate nach der Geburt hatte ich meine Freundinnen gefragt, ob dieser Zustand, dieses Leere-Gefühl und gleichzeitig dieses monströse Verantwortungsgefühl irgendwann einmal mildern würde, und alle bejahten sie mir. Sie sagten, es sei ganz normal, dass man anfangs das Gefühl habe, sein eigenes Leben wäre jetzt vorbei, so ein Kind sei schliesslich eine enorme Umstellung. Das ist nur, bis du dich daran gewöhnt hast.
Einmal holte ich bei der Stillberatung Rat, weil mein Baby x-Mal nachts schrie. Sie erzählte mir, das sei eben ganz normal, und nicht weiter schlimm. Es würde sich von ganz alleine bessern. Sie drückte mir einen Zettel in die Hand, auf dem ich Kreuze machen konnte, für jedes Mal, wenn mein Kind nachts schreiend aufwachte. Als ich wieder mit dem ausgefüllten Zettel zu ihr ging, und sie mehr Kreuze als nackte Linie sah, fragte ich sie, wie ein Mensch so viele schlaflose Nächte überleben konnte. Sie sah mich an und sagte: «Das machen die Hormone schon.»
Zudem kam, dass meine Kolleginnen aus dem Geburtsvorbereitungskurs alles irgendwie so locker nahmen. Sie sassen entspannt in der Gartenlounge bei einem Treffen, tranken ein Käffchen und unterhielten sich freudig über die ersten Fortschritte der Babys, während ihre Babys ruhig daneben lagen. Ich war die Einzige, die wie auf Nadeln dasass -wartend bis mein Kind zum nächsten Mal losschrie- und hoffte, dass ich bald möglichst wieder nach Hause gehen konnte.
Dass mir alle die heile Welt vorgaukelten, machte die Einsicht depressiv zu sein, schwierig. Ich wollte ja dazugehören. Doch schliesslich vertraute ich meinem Gefühl. Ich wusste, etwas stimmte nicht. Und als ich verschiedenste Artikel über postpartale Depressionen gelesen hatte, wusste ich, ich bin nicht allein. Von da an hat sich meine gesundheitliche Situation gebessert.
Hast du dir Hilfe geholt? Dich therapieren lassen?
Nein. Das wollte ich nicht. Ich hätte es aber tun sollen. Und ich empfehle es jeder Frau, die auch nur eine klitzekleine Unstimmigkeit in sich verspürt. Man spürt, wenn etwas nicht normal ist, auch wenn man so etwas noch nie zuvor erlebt hat. Mein Gefühl hat sich bestätigt. Ich habe mir nie Hilfe geholt, aber ich fing an, anders mit meinem Umfeld zu sprechen. Ich lernte neue Mütter kennen, bei denen ich mich anvertrauen konnte, die mir zuhörten. Mein Partner war eine riesengrosse Stütze für mich. Auch mit ihm habe ich immer wieder gesprochen. Zudem habe ich mich an mein neues Leben als Mutter gewöhnt. Das Kind haben wurde von Monat zu Monat (in meinen Augen) einfacher. Unser Baby schrie weniger, war zufriedener sobald es laufen konnte. Ich half mir selber, indem ich mich zwang zu lächeln. Immer mal wieder meinen Mann anzulächeln, war in dem Moment nicht immer einfach, aber Goldwert. Auch wenn mir zum Heulen war.
Hast du die postpartale Depression heute überwunden?
Ja. Und es freut mich, dass ich das sagen kann. Ja, ich habe es geschafft. Heute (fast vier Jahre später) sind unser Kind, mein Mann und ich ein eingespieltes Team, das funktioniert. Unsere Liebe ist durch diese schattige Zeit sehr stark geworden. Für meinen Mann und mich hat die Depression fast die Trennung bedeutet. Heute sind wir beide erholt davon.
Kannst du dir vorstellen, weitere Kinder zu bekommen?
Mein Herz würde es sich wünschen, ja. Aber wenn ich zurückblicke, denke ich immer an mich selber, wie ich mir damals ständig gesagt habe: Vergiss niemals wie furchtbar diese Zeit für dich ist.
Dass wir heute so glücklich sein können, war harte Arbeit an uns selbst als Familie. Das möchte ich nicht aufs Spiel setzen. Ich bin glücklich, dass ich ein gesundes Kind auf die Welt bringen durfte und dass wir heute so happy miteinander sind. Dafür bin ich sehr dankbar.
Hast du Tipps für werdende Mütter und betroffene Frauen?
Ja. Bitte holt euch Hilfe, wenn ihr das Gefühl habt, dass etwas nicht stimmt. Egal in welcher Form. Freundin, Mutter, Psychologe- ganz Wurst. Ihr müsst das nicht alleine durchstehen! Je früher ihr Hilfe holt, umso besser. Niemand verlangt von euch, eine perfekte Mutter zu sein. Es gibt keine perfekten Mütter.
Und was ich hinzufügen möchte: Bereitet euch gut auf die Zeit nach der Geburt vor. Kocht das Doppelte und friert es ein, damit ihr nach der Geburt immer etwas «Gscheits» zu Essen habt. Nehmt euch eine Putzfrau für die ersten Wochen zu Hause. Fragt Mutti, Vati oder Freundin, Verwandtschaft, Bekanntschaft das Baby für ein paar Stunden in der Woche abzugeben, damit ihr Zeit für euch selbst habt! Denn nur wer sich um sich selbst gut kümmert, kann sich gut um andere kümmern.