(K)ein Volk von Talkern
Bild/Illu/Video: srf.ch

(K)ein Volk von Talkern

Was haben wir alle jahrelang über die Sendung «Schawinski» abgelästert. Dass der Moderator mehr spricht als seine Gäste. Dass er gar nicht auf deren Antworten eingeht. Dass es ihm wichtiger ist, seine eigene Überzeugung kundzutun als die Meinung des Gegenübers in Erfahrung zu bringen. Selbstverliebt, zu hart, zu provokant, empathielos: Attribute wie diese hagelte es. Und als Schawi unfreiwillig abtreten musste, hiess es schnell: Sein letzter Gast wird wohl ein Spiegel sein.


Schawinksi ging, Gredig kam. Mit «Gredig» direkt hat das Schweizer Fernsehen relativ nahtlos ein neues klassisches Talkformat ins Programm genommen. Nach wenigen Sendungen wird auch dieses medial beurteilt. Mit neuen Attributen: Zu harmlos, zu langweilig, zu wenig kontrovers. Das Gegenteil zu Schawi also. Würde man die beiden gentechnisch miteinander vermengen, müsste also der perfekte Talkmaster entspringen. Ausser natürlich, das Problem liegt woanders.


Lange Tradition

Natürlich sind die Beurteilungen in beiden Fällen zu pauschal. Schawi hatte seine herausragenden Momente, und wenn man ihn als Sender verpflichtet, muss man sich nicht wundern, dass man ihn auch kriegt. Urs Gredig wiederum muss sich warmlaufen dürfen. Und er ist ein so anderer Typ als Schawinski, dass man keine Kopie erwarten darf. Hätte man diese gewollt, hätte man beim Original bleiben können.

Zudem hat es Tradition, dass Talkmoderatoren in der Schweiz auf wenig Beifall stossen. Dieter Moor, der sich heute Max Moor nennt, war in Österreich eine Legende, in seiner Heimat stiess er mit seiner Late-Night-Show aber ebenfalls auf viel Unwillen. Kurt Aeschbacher hatte zwar selten schlechte Presse, aber das vor allem, weil er einfach zu nett war – mit den Gästen und dem Publikum. Seine «Talks» waren eigentlich Wohlfühloasen und von Schawi so weit entfernt wie Rosenzucht und Rugby.


Zu kleine Auswahl

Vielleicht hat das alles gar nichts mit den Moderatoren zu tun. Ein wöchentliches Talkformat in der Schweiz ist eigentlich prinzipiell ein Unding. Denn es gibt schlicht zu wenig spannende Gesprächspartner. Beziehungsweise: Es gäbe sie. Sie werden nur nicht eingeladen. Die Gästelisten von Schweizer Talksendungen sind eine Art Abziehbild der hiesigen Postillen. Die Nachrichtenlage und die Namen, die in den auflagenstärksten Blättern dominieren, sind gesetzt. Selten ist eine Überraschung darunter. Thiel sorgt für Aufregung mit einem Koran-Artikel? Ab zu Schawinski. Blocher ist immer gut? Ab zu Schawinski – zehn Mal insgesamt. Wenn man in neun Jahren zehn Mal denselben Gast empfangen muss, damit der Zuschauerpegel oben bleibt, läuft etwas falsch.


Glücklich die TV-Nation Österreich. Dort hat man nicht nur im staatlichen Rundfunk, sondern auch bei privaten Sendern wie oe24.at permanent spannende Leute vor der Kamera – im Tagesrhythmus.


Worans liegt? Vermutlich daran, dass die Schweiz eine gelebte Konkordanz ist. Man will sich nicht weh tun, will nicht herausstechen. Wer das verinnerlicht hat, taugt nicht als Gast, und dann muss man entweder mit dem Vorschlaghammer zuschlagen (Schawinksi), perfekt vorbereitet und dann viel zu detailreich sein (Gredig) oder 30 Minuten lang Knie tätscheln (Aeschbacher). Gäste, die wohltuend herausragen, werden dafür gleich zehn Mal an den wenigen Haaren ins Studio gezogen wie Blocher.


Talkmoderatoren sind in der Schweiz deshalb auf verlorenem Posten. Sogar, wenn sie gut sind.

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