«After the Fire» - ein perfekt in die Zeit passender Buchtipp
After the Fire ist eine Geschichte über Macht. Eine Geschichte über einen charismatischen Anführer. Eine Geschichte über das Verführen und Täuschen. Eine Geschichte über Manipulation. Eine Geschichte über geschickt gewobene Lügen, die zur Wahrheit erhoben werden. Eine Geschichte über das Davor und das Danach. Dazwischen liegen eine Stürmung, ein Feuer und unzählige Tote.
In After the Fire ist der mächtige Anführer kein Politiker, sondern ein Sektenführer, der sich Father John nennt. Sein Slogan, den er natürlich nicht Slogan nennen würde, lautet: «Der Herr ist freundlich.» Auch nach unvorstellbar harten Strafen gegenüber jenen, die gegen seine Regeln verstossen. Seine Anhänger akzeptieren diese Strafen, selbst wenn es sie oder ihre Angehörigen trifft. Sie hinterfragen nichts, weder Father John, noch die Regeln.
Das Buch beginnt im Danach, der Zeit nach der Stürmung und des Feuers. Geschildert werden die Geschehnisse von der Ich-Erzählerin Moonbeam, einer der wenigen Überlebenden. Vor dem Feuer lebte sie innerhalb eines Zauns, auf einem Anwesen, das sie nicht verlassen durfte. Jetzt, nach dem Feuer, lebt sie hinter den Mauern einer Klinik und soll ihre Vergangenheit aufarbeiten. Hier, so sagt man ihr, sei sie in Sicherheit. Aber das hat man ihr auch im Davor erzählt. Wem also kann sie trauen? Nur langsam öffnet sie sich gegenüber ihrem Therapeuten, doch sie weiss, dass sie nicht alles erzählen kann, denn die ganze Wahrheit darf nie ans Licht kommen.
Was man als Leser*in erfährt, ist nichts für schwache Nerven, vieles von dem, was im Namen der Regeln geschah, war unvorstellbar grausam. Und trotzdem glaubten die meisten, dass es eben nötig war. Denn: «Der Herr ist freundlich.» So sagte es Father John, und was Father John sagte, war die absolute Wahrheit. Zumindest für Luke, der auch zu den Überlebenden gehört.
Während Luke auch in der Klinik unbeirrbar an den Regeln von Father John festhält und sich durch nichts von seinem Glauben abbringen lässt, sass der Zweifel schon vor dem Feuer in Moonbeam. Sie erkannte die Widersprüche, sah hinter die Fassade von Father John, zweifelte. Ihrem Therapeuten gegenüber kann sie die Zweifel aussprechen, doch um wirklich ihren Weg in eine neue, andere Zukunft gehen zu können, muss sie den Mut zur ganzen Wahrheit finden. Ihr grosses Problem: Wenn sie das tut, könnte diese Zukunft noch einmal völlig anders aussehen.
After the Fire ist keine einfache und schon gar keine einfach verdauliche Lektüre. Es zeigt, wie tief in den Köpfen und Herzen von Menschen Ideen und Ideologien verankert sein können, wie schwer es ist, sich von ihnen zu lösen oder sich eben nicht lösen zu können wie Luke.
Für mich war After the Fire schon vor dem 6. Januar eines der besten Bücher von 2020. Nach dem 6. Januar hat es noch einmal an Bedeutung gewonnen. Leider etwas eine Schwachstelle im Buch ist die Rolle des Therapeuten; der ist mir etwas gar zu naiv und zu plakativ geraten, aber ich finde, darüber kann man hinwegsehen, weil das Buch eine Klasse für sich ist.
«After the Fire», William Hurt, dtv Verlag (deutsche Ausgabe)