Rückblick: ORF Lange Nacht der Museen 2023
Die Qual der Wahl
Was macht der Schreibende, ein interessierter Qulturliebhaber, nachdem man ihm beim ORF Stand in Dornbirn ein 90-seitiges Booklet in die Hand gedrückt hat? Die Qulturnacht dauert «nur» 7 Stunden. Da bleibt nur eines: die Wünsche auf das Machbare zu kürzen und auf das Bauchgefühl zu vertrauen. Der erste Tempel, das Stadtmuseum Dornbirn, ist gleich um die Ecke.
Glück gehabt?
So heisst die aktuelle Ausstellung. Ob sich das bewahrheitet, wird sich bereits im ersten Stock zeigen. Vorbei an herzlichen Museumsangestellten, welche mich mit Snacks und Drinks zu verführen suchen. Den Beginn der Ausstellung über Kaplan Bonetti macht das Glücksrad. Seine Schützlinge waren und sind bis heute manche, die im sprichwörtlichen Sinn «am Rad drehen». Die Stationen des Glücksrads zeigen die vielen Facetten und die Zerbrechlichkeit des gewohnten Alltags. Bevor ich ins Obergeschoss gelange, gönne ich mir den Gang durch die Dauerausstellung des Stadtmuseums. Wappen und Artefakte zeigen ein vielfältiges Bild der Entwicklung.
Das zweite Stockwerk beherbergt den Hauptteil der Bonetti Ausstellung. Höre ich sonst in Museen Geflüster und Gemurmel, bleibt es hier mucksmäuschenstill. Die Konfrontation mit den allgegenwärtigen Schicksalen weckt Betroffenheit, Empörung und Demut gleichermassen. Bei mir und wohl bei vielen anderen, die, in üppigem wie in bescheidenem Wohlstand leben dürfen. Genug der Schwere, dem Geist steht nach leichterer Kost. Hinaus in die warme Oktobernacht, eintauchen in Dornbirns Zentrum, in der ich gutgelaunte Menschen beim Essen, Trinken und Flanieren betrachte.
Natur und der Saft des Lebens
Durch die Museen hetzen, macht keinen Sinn. Ich schaffe nicht alles in einer Nacht. Der kleine Spaziergang bis zu zwei anderen Museen in der Innenstadt lässt Zeit, um mich auf neue Eindrücke vorzubereiten. Das «inatura»-Museum ist die nächste Anlaufstelle. Die Türe geht auf, der Raum hoch und gewaltig, das Auge klebt gleich an einem Elch. Ein Elch? Die anderen Tiere auf der Galerie machen Sinn, wenn man an Vorarlberg denkt. Wisent, Braunbär, Wolf und Otter, die könnten…doch mal hier gelebt haben. Aber ein Elch? Seis drum. Im Obergeschoss der Rundgang durch die Wasserwelten des Bodensees. Lernen, staunen, ein interaktives Kaleidoskop und eine nette Dame, die mir vorzeigt, dass Kleider auch repariert statt weggeworfen werden können.
Weiter zieht es den wissbegierigen Geist durch schmale Gänge voller längst vergangener Industriemaschinen. Mensch und Maschine, Mensch und Natur. Beides Widerspruch und Einklang zugleich. Ein Gang aus dem Dunkel in das nächste Universum, in welchem die Natur wieder das Sagen hat. Ausgestopftes und Lebendiges, Seite an Seite, Kreuchendes und Fleuchendes zum Bestaunen. Und Mineralien in aller Form und Couleur. Meine Sinne sind satt, mein Magen knurrt, so nehme ich Platz im Museumscafé und bestelle mir ein Süppchen und einen Tee. Serviert von der österreichischen Gastfreundschaft, die mir, dem Schweizer, einmal mehr klarmacht, dass die Damen und Herren der gastlichen Zunft in unserem Land, noch sehr viel Luft nach oben haben.
Genährt und gestärkt geht es gleich gegenüber in den Kunstraum Dornbirn. Ich trete ein in einen Raum voller…ja was denn? Ein Paradies für Vampire? Tausend Adern voller Blut, die in einem unentwirrbaren Chaos von der Decke ineinander verschlungen, den ganzen Raum füllen? Des Rätsels Lösung steht im Booklet: «Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota entfaltet die faszinierende Anmutung eines lebenden, überdimensionierten und eigenständigen Organismus.» Mir kommt trotzdem nur das Bild eines Operationssaals in den Sinn, in dem Blut in die Gefässe gepumpt wird, damit das Was-Auch-Immer am Leben bleibt. Die Pumpen, welche die rote Farbe in die Plastikschläuche dieses Kunstwerks pressen, machen jedenfalls dasselbe Geräusch wie die Maschinen in der Notfallaufnahme im Spital. Beim Weggehen frage ich mich, was die Künstlerin zu diesem Werk inspirierte. Wieder kommen mir Vampire in den Sinn.
Busfahren
Das nächste Museum der Begierde liegt in Lustenau. Warten auf den Shuttle. In dunkler Nacht und etwas in Eile, braucht der Bus doch eine Weile. An schweizerische Pünktlichkeit gewöhnt, wird mein Tüpflischiisser-Gen strapaziert. Der wiederholte Blick auf die Armbanduhr lässt den Bus aber nicht schneller rollen.
Schach und Kosmisches
Der Blick im Booklet der «Langen Nacht der Museen» fiel beim Essen auf das Wort Villa. Galerie Villa Marxx. Das Interesse ist geweckt und ich will wissen, ob mich in der letzten verbliebenen Jugendstilvilla in Lustenau kommunistische Symbole wie Hammer und Sichel empfangen. Wobei, der Kommunist hiess ja Marx, also muss der mit dem Doppel-xx wohl etwas anderes bieten. Ich biege von der Strasse in den Vorplatz zur Villa und bin plötzlich nicht sicher, ob ich in einer privaten Gartenparty oder beim Museum bin. Mir wird von den am Tisch feiernden beschieden, «die eiserne Wendeltreppe hoch und eintreten». Und schon bin ich im Reich von Werner MARXX Bosch. Eine andere Welt empfängt mich, verglichen mit den bisherigen Museen. Räume voller Farben, noch nie gesehene Schachfiguren und ein Künstler, dem das Schaffen und die Phantasie eine fast greifbare Aura verleihen. Neben bisherigen Werken bestaune ich die grafischen Bilder seines neuen Buches «COSMIC, im Universum des Nichts». Mein Besuch dauerte zu kurz, wie ich auf dem Heimweg merke. Das Booklet behalte ich. Die Museen für das nächste Jahr sind schon angekreuzt.