Mit Mundschutz und Kronleuchter
Bild/Illu/Video: Alice Gabathuler

Mit Mundschutz und Kronleuchter

So eine Pandemie hat auch Vorteile. Ich leiste mir zum ersten Mal im Leben auf einer Lesetour Bahntickets erster Klasse. Platz zum Verschwenden, tolle Tische für den Laptop, kaum jemand im Bahnwagen, wunderbare Ruhe. An so was könnte ich mich glatt gewöhnen.


Eigentlich wollte ich nie mit Mundschutz lesen, weil ich die Gesichtsmimik extrem wichtig finde, aber in Zeiten wie diesen geht es nicht anders. Und mit dem Mundschutz der Band, die mich beim Schreiben inspiriert, sehe ich sogar einigermassen passabel aus. Weil die dünne Stoffmaske kaum als wirkungsloser Schutz funktioniert, ich darunter noch eine coronataugliche Maske. Was mir in der Fragerunde promt ein «Warum tragen Sie zwei Masken?» beschert hat.


Die Fragerunde ist übrigens der Lieblingsteil meiner Lesungen. Hier gilt wie immer: Kein Maulkorb, alle Fragen erlaubt. Auch kritische und provozierende. Meine Lieblingsfrage dieser Tour, gestellt von einem Mädchen in Oftringen: «Welche Frage würden Sie sich stellen?» gebe ich sehr gerne an Sie weiter. Ich fand sie inspirierend und habe sie den anwesenden Jugendlichen gleich als Hausaufgabe mit auf den Weg gegeben.


Meine Frage kam spontan aus dem Bauch heraus: «Kannst du es noch besser?» (Ich meinte damit mich, nicht das Mädchen, was sie erschreckte, denn sie dachte, ich meine sie und ihre Frage.)

Meine Antwort (an mich): «Ich versuche es und arbeite daran.»

Das coole an der Sache: So eine Frage könnte man sich eigentlich jeden Morgen nach dem Aufstehen stellen. Jeden Tag eine andere. Und mit ihr dann in den Tag gehen. Auch daran arbeite ich.


Aber nicht um 4.20 Uhr. Das war nämlich die früheste Uhrzeit, zu der ich während dieser Lesetour aufstehen musste. Abfahrt war um 4.50 Uhr. Für einmal mit dem Auto, weil es so früh gar keine Bahnverbindung gibt. Ich kam rechtzeitig genug am Lesungsort an; es reichte sogar noch für einen Kaffee mit der sehr netten Bibliothekarin, die mich um 6.50 Uhr hellwach und wunderbar nett empfing.


Generell werde ich auf dieser Tour verwöhnt: Essen. Trinken. Blumen. Gebäck. Viele nette Worte. Das tut so unendlich gut und lässt den räumlichen Abstand vergessen.


Mein Rekord auf dieser Tour: Vier Lesungen an einem Tag. Ja, das ist streng, aber ich merke es während der Lesungen nicht, weil sie so viel Spass machen. Erst auf dem Weg nach Hause fährt die Müdigkeit in meine Glieder und meinen Kopf. Was dazu führte, dass ich auf dem Nachhauseweg dieses sehr langen Lesungstags ab Weesen im Auto abwechselnd laut zu den Songs im Radio mitsang und ebenso laute Selbstgespräche führte um nicht einzuschlafen. Im Zug ist das kein Problem. Da nicke ich oft einfach ein, kaum sitze ich an meinem Platz. Ich muss nur aufpassen, dass ich nicht vergesse, in Sargans auszusteigen. Aber bis jetzt habe ich das noch immer geschafft.


Und dann waren da noch diese kitschig roten Kronleuchter in Baden. Ich gestehe: Ich hätte sie am liebsten geklaut. Auf die Gefahr hin, dass ich entweder verhaftet worden wäre oder mein Herr Ehemann an einem Schreckschock gestorben wäre, wenn ich die Dinger mitgebracht hätte. Nun, erstens hingen sie sowieso zu weit oben, zweitens hätte es zu viele Zeugen gegeben und drittens hätten sie nicht in meinen Lesungsrucksack gepasst. Schade.


PS: Wenn bei Ihnen im Keller irgendwo kitschig rote Kronleuchter vor sich hinstauben, würde ich jemanden kennen, der Interesse an ihnen hätte …

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