Inselumrundung Teil 4: «Freude und Friede für alle»
Das Wasser musste ich mir vorsichtig einteilen, da ich durch eine Gegend gehen würde, die fast völlig unbewohnt war und ohne mir bekannte Wasserquellen war. Vom Strand aus ging ich zügig das Tal neben der Hauptstrasse hinauf. Die ersten sieben Kilometer schwitze ich mich tropfend nasss, verbrauchte einen ganzen Liter Wassser, um mich einigermassen zu rehydrieren und machte die ersten sechshundert Höhenmeter des Tages. Steil führte der Weg am südlichen Hang aus dem Tal hinaus und brachte mich hinein in die Stille und Ursprünglichkeit La Gomeras. Erneut traf ich auf deutsche Wanderer. Nach einem Schwatz lief ich weiter in Richtung einer abgelegenen Häusersammlung mitten im Nirgendwo. Beim Aufstieg ächzte ich unter der Last meines Gepäcks.
Insektenangriff
Irgendwo blieb ich stehen, verschnaufte, legte meinen Rucksack ab und setze mich hin. Es war Zeit für eine Mahlzeit und ein Schläfchen. Nach dem Essen lehnte ich mich an meinen Rucksack und legte den Kopf in den Nacken. Die Fliegen schwirrten unablässig um mich herum. Meine Ruhe wurde durch zeckenähnliche Insekten und Spinnen unterbrochen, die auf meinen nackten Beinen krochen.
Nachdem ich eine ganze Herschar solcher Tiere von mir weggeblasen und mit Daumen und Zeigfinger weggespickt hatte, entspannte ich mich wieder nur um kurz darauf wieder festzustellen, dass die Brüder und Cousins der vertriebenen Insekten sich an mir rächen wollten. Da ich hier nahe bei Marrokko war und dort der Islam die Staatsreligion ist und die Menschen ein Recht auf Vergeltung haben, konnte ich das Verhalten der Tiere durchaus nachvollziehen.
Vertrauen in die Welt
Über achtzig Kilometer bin ich auf dem Weg rund um die Insel bereits gegangen und zu meinen eigenen Erstaunen hielten sich der Muskelkater und meine Rückenschmerzen in ertragbaren Grenzen. Mein Rücken litt ganz eindeutig unter der rund fünfzehn Kilogramm schweren Last des Rucksacks, die Knie fühlten sich schon weich an, die linke Wade schmerzte beim Aufstieg, aber ansonsten hatte ich keinerlei Beschwerden zu vermelden. Das plötzliche Jaulen eines Hundes in weiter Ferne lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Die Schönheit der Insel wurde mir auf einmal wieder vor Augen geführt. Das Tal, in das ich hinabblickte schien menschenleer. Ich hörte nichts ausser dem Pfeifen des Windes um die Felsen. Tief atmete ich ein und liess beim Ausatmen alle meine Sorgen los. Nichts brachte mich in diesen Augenblick um meine innere Ruhe und Zufriedenheit. In diesem mir so fremden Ort fühlte ich mich mehr und mehr wie zuhause. Vollkommen allein, in völliger Abgeschiedenheit und ich war glücklich. Ob mir dieses Glück auf meinen weiteren Lebensweg weiterhin gegeben sein würde? Werde ich imstande sein die Ruhe auch in kommenden Zeiten der Hektik beizubehalten? Ich fühlte die Gewissheit und das Vertrauen, dass sich in der vergangenen Zeit in mir entwickelt hatte.
Dann brach ich auf und ging weiter meines Weges. Stundenlang war ich ohne grössere Pausen auf dem Pfad. Ich ging und lief und wanderte um mich so richtig zu verausgaben, damit ich am Abend gut würde einschlafen können. In den folgenden Stunden durchlief ich drei Täler. Der Weg führte mich in Serpentinen den Talhang hinunter, dann durchschritt ich das wenige hundert Meter breite Tal und stieg am anderen Hang wieder in Serpentinen hinauf. Irgendwann kam ich in La Dama an. Der Ort war winzig und bestand flächenmässig aus mehr Bananenplantagen als Häusern. In einem Café gönnte ich mir etwas zu trinken und kaufte noch einige Wasserflaschen zum Mitnehmen dazu.
Ein Wunsch für die Sonne
Der Weg führte mich weiter nach La Rajita, wo ich in einem heruntergekommenen Haus direkt am Strand mir mein Nachtlager einrichtete. Bevor ich mich in meinen Schlafsack legte, schwamm ich noch etwas im Meer. Das kalte Salzwasser war ein dürftiger Ersatz für eine Dusche, doch ich war froh darum, denn ich fühlte mich nach Stunden des Schwitzens nicht mehr wohl in meiner Haut. Die Sonne ging unter und bevor sie ganz hinter dem Horizont verschwand, gab ich ihr noch einen Wunsch mit. Ich war glücklich und wünschte mir, dass ich weitere solche Tage würde erleben dürfen. Kurz darauf ergänzte ich meinen Wunsch damit, dass ich nicht nur mir sondern allen Menschen glückliche und friedliche Tage wünschte und das ihre Freude grösser wäre als ihr Leid. Dann rauchte ich noch etwas von der Blüte des Pflänzchens, das ich einem Einheimischen abgekauft hatte und verkroch mich tief in meinen Schlafsack hinein.