Inselumrundung Teil 3: «In der Geduld liegt die Kraft»
Die Decke sah so morsch aus, dass ich befürchtete sie würde mir im Verlaufe der Nacht auf den Kopf hinunterdonnern. Ich schlief gut, so gut, dass es mich selbst erstaunte. Ich versprach mir selbst wieder hier zu nächtigen, falls das Gebäude bei meinem nächsten Besuch noch nicht eingestürzt wäre. An diesem dritten Morgen hätte ich sanfter nicht erwachen können. Die Morgensonne schien mir zur Tür hinein, die Wellen brachen just zehn Meter von mir entfernt und ich fand mich in einer völlig unbekannten Seelenruhe wieder.
In der Geduld…
Ich war alleine, und doch oder gerade deswegen fühlte ich mich frei und zufrieden. Lange Zeit hatte ich auf ein Abenteuer dieser Art gewartet. Meine Geduld wurde reichlich belohnt. Mit Schätzen der inneren Ruhe und des Friedens wurde ich überschüttet und je mehr ich davon anderen hergab, umso mehr wurde mir selbst zuteil. Eine Erkenntnis, die mir in den vergangenen Monaten wieder und wieder auf meinem Lebensweg begegnet war, ist das die Geduld alles Leid auflösen kann. Manche Lesende mögen sich vielleicht an meine winterliche Velotour in Richtung Spanien erinnern, die ich nach zwei Wochen abbrechen musste. An jenem Tag auf La Gomera fühlte ich wie meine Geduld und meine Zuversicht, mein gesamtes Sein und Vertrauen belohnt wurde, dass ich mich nochmals hinausgewagt hatte und die «Niederlage» einer abgebrochenen Fahrradtour mit einem «Sieg» einer Fernwanderung wiedergutmachen konnte.
…liegt die Kraft
Meine Augen leuchteten vor Energie und Lebensfreude, sodass ich den Spaziergängern am Strand wie ein Verrückter vorgekommen sein musste. Doch was kümmerte es mich, ich war so nah wie nie zuvor bei mir selbst. Ich wusste genau wer ich war, ohne dies in Worte fassen zu können. Die Wanderung erfüllte mich derart, sodass ich ein anderer Mensch geworden war. Vielleicht wurde ich zu dem Menschen, der ich immer hätte sein sollen oder wollen. In Nachgedanken an die vergangenen Wandertage ging ich gemächlichen Schrittes nach Agulo, ein kleines Dorf hundert Meter über Meer. Dort postierte ich mich an einer Haltestelle und wartete eine dreiviertelstunde auf den Bus. Als der Bus schliesslich in mein Blickfeld rückte, schnappte ich mir aufgeregt meinen Rucksack, stülpte mir einen Maulkorb über Mund und Nase und winkte dem Fahrer, damit er mich sähe. Es fühlte sich wie eine Ohrfeige an, als der Busfahrer mich keines Blickes würdigend vorbeifuhr. Was hatte ich falsch gemacht? War hier etwa nicht die Bushaltestelle? Ich ging nochmals durch das Dorf und entdeckte schliesslich eine zweite, scheinbar richtige Bushaltestelle. Bei Einheimischen vergewisserte ich mich, dass ich mich nicht ein zweites Mal täuschte. Zwei Stunden lang sass ich in einem Café, schrieb, las und schwatze mit den Leuten. In dieser Situation erwies sich meine erworbene Geduld als äusserst nützlich, sodass ich ohne Ärger und Missmut die Zeit überbrücken konnte und dabei einige nette Touristen kennenlernen durfte.
Leere Batterien
Warum ich überhaupt den Bus nahm? Weil ich mich dazu entschlossen hatte einen Teil des Wanderwegs rund um die Insel, durch einen anderen Wanderweg zu ersetzen, welchen ich als spannender empfand. Als der Bus schliesslich eintraf und auch anhielt, war meine letzte Sorge verflogen. Durch den Urwald fahrend brachte er uns nach Vallehermoso. Dort zog es mich hinunter an den Strand und so ging ich Stunde und Stunde hin und zurück. Der Strand vom «wunderschönen Tal» war kaum breiter als ein Fussballfeld lang ist und war von Felsen umgeben. Es windete stark und mit müden Beinen ging ich schliesslich zurück ins Dorf um von dort aus ein weiteres Stück mit dem Bus zurückzulegen. Bis Chorros de Epina, einer Häusersammlung auf einem bewaldeten Berggrat fuhr ich mit dem Bus und ging den Rest des Weges bis nach Arure zu Fuss. Im Mund hatte ich nach Stunden des Gehens einen säuerlichen Geschmack. Ich stellte mir vor meine innere Batterie wäre ausgelaufen und das war der Geschmack, der dabei entstand.
Heimat in der Ferne
Ich befand mich mitten im Atlantik auf einer Insel, in 700 Meter Höhe über dem Meer. Die Pflanzen der Insel waren andere als bei uns zuhause, doch der Geruch war derselbe. Es roch erstaunlicherweise so wie es im Sommer und Herbst auf den Bergwiesen riecht. So plötzlich hatte ich mich noch nie an einem fremden Ort zuhause gefühlt. Diese Überraschung war ein Segen und versüsste mir fortan beim Gehen das Leben.