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Geschwister – eine Bindung fürs Leben

Brigitte Kunz, Jahrgang 1960, ist mit einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder aufgewachsen. Beide Geschwister sind viel zu früh und unter tragischen Umständen verstorben. Ich durfte mit Brigitte über ihre schmerzhaften Erfahrungen sprechen.


Was hast du für Erinnerungen an deine Kindheit, insbesondere im Zusammenhang mit deinen Geschwistern?

Susanne war nur ein Jahr älter als ich. Wir hatten darum ständig Konkurrenzkämpfe. Als ältere Schwester war sie die Vernünftigere und übernahm gerne die Mutterrolle. Ich war die Rebellin. Ich mochte es nicht, wenn sie mich bevormundete. Daher habe ich in der Kindheit gelernt für meine Rechte zu kämpfen und mir nicht alles gefallen zu lassen. Beat war zwei Jahre jünger als ich. Er hatte bei uns in der Familie schon früh die Rolle des kleinen Prinzen. 1972 liessen sich die Eltern scheiden und Beat wurde von uns drei Frauen betüdelt. Unsere Mutter war und ist eine starke Frau. Da das Geld oft nicht ausreichte, musste sie schon früh arbeiten gehen, so dass wir Kinder uns oft selbst überlassen waren. Ich weiss noch, dass wir Geschwister einander sehr gebraucht haben. Wir hatten keine einfache Kindheit, denn mein Vater war Alkoholiker.


Deine Schwester Susanne ist mit nur 39 Jahren an Gebärmutterhalskrebs gestorben. Was für Erinnerungen hast du an die Zeit mit deiner Schwester?

Meine Schwester hat sieben Jahre gegen die heimtückische Krankheit «Krebs» gekämpft. 1992 mussten ihr notfallmässig die Eierstöcke rausgenommen werden. Später bekam sie Lungenkrebs, dann einen Hirntumor und schliesslich noch Knochenmetastasen. Am Ende war ihr Tod auch für uns eine Erlösung. Wir konnten Susanne unter diesen Umständen gut loslassen, denn es war ein zermürbender Kampf und das über viele Jahre.


Was fühlst du, wenn du heute an deine Schwester denkst?

Inzwischen denke ich nicht mehr nur an die Zeit, in der meine grosse Schwester krank war. Ich erinnere mich an unsere Pubertät, das war eine aufregende Zeit. Susanne war jedoch immer etwas eifersüchtig auf mich, weil ich so taff war. Als meine Schwester ihren Mann Kurt kennenlernte, wurde unser Verhältnis richtig gut. Susanne war später auch unserer Tochter eine tolle Patentante. Sie hat sich oft und gern um Sandra gekümmert. Gerade weil sie keine eigenen Kinder haben konnte, war die Beziehung zu der Nichte sehr eng. Von diesen Erinnerungen zehre ich heute noch und nicht nur ich, sondern meine ganze Familie. Später habe ich, durch die Erfahrung mit der Krankheit meiner Schwester, gelernt loszulassen und einen Menschen, so schwer es sein mag, in den Tod zu begleiten.


Als wäre die Geschichte mit deiner Schwester nicht schon tragisch genug, hast du vor 2 Jahren auch noch deinen Bruder Beat verloren. Zunächst einmal, wie war euer Verhältnis als Erwachsene?

Der Verlust von Susanne hat uns noch mehr zusammengeschweisst. Wir hatten ein typisches Bruder-Schwester Verhältnis. Über Probleme spricht eine Frau mit der Schwester oder mit einer Freundin, aber nicht mit dem Bruder. Wir haben aber viel Zeit miteinander verbracht, nicht zuletzt, weil auch mein Mann sich sehr gut mit Beat verstand. Zum Beispiel haben wir öfters gemeinsam Ferien gemacht, sind an den Wochenenden zusammen ins Restaurant gegangen oder wir haben gemeinsam gekocht. Mein Mann und Beat teilten dieselbe Leidenschaft, die beide auch zum Beruf gemacht hatten. Mein Bruder hatte auch ein sehr enges Verhältnis zu unseren Kindern. Wenn es Beat nicht gut ging, dann habe ich das als grosse Schwester meistens gespürt, aber über Probleme reden, das wollte er nicht.  Wenn ich hartnäckig geblieben bin, dann hat er stets alles verharmlost oder abgeblockt. Mein Bruder war ein sehr lieber Mensch und er wollte uns keinen Kummer machen.


Wie gehst du damit um, dass Beat sich das Leben genommen hat?

Mein Bruder hat am 12.12.2018, es war an einem Mittwochmorgen, kurzerhand entschieden, sich vor einen Zug zu werfen. Alles deutet darauf hin, dass es eine Kurzschlussreaktion gewesen ist, denn wir haben weder einen Abschiedsbrief gefunden, noch hat er sich an dem besagten Morgen anders verhalten als sonst. Er war auf dem Weg zur Arbeit, hat es sich dann auf einmal anders überlegt. Es war für uns alle ein riesen Schock, einfach unbegreiflich und das ist es immer noch.


Am Sonntagabend war er noch bei uns, er war gut drauf und nichts deutete darauf hin, dass sich drei Tage später eine derartige Tragödie abspielen würde. Wir haben übers Weihnachtsessen gesprochen. Zum ersten Mal wollten wir eine Gans zubereiten. Beat erzählte uns von seinen Plänen, von den geplanten Joggingweihnachtsläufen, der Besichtigung der Tannenbäume am Bellevue. Auch erwähnte er, dass er viel arbeiten müsse. Wir wussten nicht, dass er im Begriff war in ein Burnout zu rennen.


Eine Woche vor seinem Tod fand ein Treffen mit Menschen aus unserem früheren Umfeld statt. Beat wirkte sehr traurig und auch gefrustet. Aber ich habe nichts gesagt, ich wollte ihn nicht ausfragen. Und am Sonntag darauf hat er uns vorgespielt, dass es ihm gut geht.


Konntest du Beat inzwischen vergeben?

Ja und nein. Ich stecke immer noch im Prozess. Kürzlich fand der zweite Todestag statt. Letztes Jahr standen wir alle noch unter Schock. Dieser Todestag war für mich wieder ganz schlimm. Aber ich lasse meine Trauer zu und manchmal auch meine Wut. Ich kann es immer noch nicht verstehen. Warum? Und dann bin ich wieder dankbar für die wertvolle Zeit, die ich mit meinem Bruder hatte.


Glaubst du, dass es irgendwann leichter wird und dir deine Geschwister weniger fehlen werden?

Nein, das glaube ich nicht. Aber man gewöhnt sich daran. Die leichteren Momente werden mit der Zeit etwas länger. Doch die Trauer um diese geliebten Menschen, wird immer präsent sein.

Susanne konnte ich Tschüss sagen. Bei Beat war es von einem Moment auf den anderen einfach vorbei.


Es tröstet mich, dass wir damals mit Beat einen schönen letzten Sonntagabend verbracht haben. Es war an jenem Abend eine Leichtigkeit spürbar; im krassen Gegensatz zu dem was dann passiert ist! Doch genau so möchte ich Beat in Erinnerung behalten mit dem Wissen, dass wir ihm alles gegeben haben, was wir hatten. Heute weiss ich, dass Beat mit Existenzängsten und Einsamkeit zu kämpfen hatte. Wir hätten ihm doch geholfen und ich glaube, dass er das wusste.


Was löst das Wort «Geschwister» mit einem Wort bei dir aus?

Liebe. Verbundenheit.


Danke Brigitte, dass du deine Geschichte mit uns geteilt hast. Ich wünsche dir und deiner Familie und natürlich auch den Lesern von Qultur ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest. Geniesst das Zusammensein mit euren Liebsten und startet mit viel Zuversicht und Energie ins Neue Jahr.


Zu den Bildern:

Als Kinder von links nach rechts:

Beat, Brigitte und Susanne

Als Erwachsene von links nach rechts:

Brigitte, Beat und Susanne

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