Faszination Stille
Bild/Illu/Video: Christian Imhof

Faszination Stille

Ich schreibe viel und ich schreibe gern. Manchmal sitze ich an meinem Schreibtisch, spiele mit meinem Schreibzeug und sehe zum Fenster hinaus. Stille. Meistens ist es frühmorgens, die Menschen fahren noch nicht in ihren Autos zum Dorf hinaus und die Sterne leuchten noch vom Himmel herab. In dieser Stille fühle ich mich geborgen. Sie gibt mir Kraft und Mut. Viele meiner Altersgenossen wachen morgens auf und sehen als erstes auf ihr Smartphone. Es werden Videos und Bilder angeschaut, geliked und kommentiert noch bevor man überhaupt zum Bett heraus ist. Stille ist ihnen fremd. Ich verteufle die moderne Technik immer wieder, denn ich weiss zu welchen Gräueltaten und Verletzungen der Privatsphäre sie fähig ist. Gleichzeitig schätze ich sie, weil sie es mir ermöglicht mit Freunden und Familie von überall auf der Welt zu kommunizieren.


Doch die Technik nimmt uns die Stille. Sie weckt uns mit ihren Klingeltönen, zieht uns in ihren Bann. Sie lenkt uns ab von den Wundern der Natur und unseren Mitmenschen. Was macht Stille aus?


Sitzt man fernab der Zivilisation auf einem Berg oder in einer Wüste, ist Stille allgegenwärtig. Wo der Mensch nicht ist, hört man noch die Worte der Natur. Die Natur spricht ohne Worte. Manchmal hören wir nichts. Wer ihre Stille nicht aushält, der entflieht ihr. Manchmal wird es im Büro still, weil alle Mitarbeiter fleissig in ihre Tasten hauen. Im Zug frühmorgens ist es still, weil sich die Menschen im Halbschlaf zur Arbeit fahren lassen. Aber am schönsten nach einem tristen Alltag, ist es auf dem Sofa zu sitzen, an einem heissen Tee zu schlürfen und in die Stille des Raumes hineinzuhören. Stille gibt Kraft, weil man nicht mit ihr sprechen, ihr zuhören oder sie anschauen muss. Stille gibt, sie nimmt nicht.


Die Menschen von heute haben die Stille aus ihrem Leben verbannt. Sie stehen ständig unter Strom, sind vernetzt, kommunizieren digital. Sie sind im Stress, wissen warum – denken «das Leben ist nun mal so» und finden sich damit ab. Resignation. Ich zähle mich selbst nicht zu den Menschen von heute, eher als einer von gestern oder früher. Ich suche und lebe nach Werten, die uns die Technik zu nehmen versucht und besinne mich aufs wichtige im Leben.


Ständig vernetzt sein, Konsumwahn, Neid vor dem Besitz der anderen, Egoismus, Hass und Verbitterung wegen verpassten Gelegenheiten – ich mache da nicht mehr mit. Mir persönlich nimmt es meine Lebensfreude und Kraft zur Veränderung. Stille nützt uns unendlich viel. Stille in unserem Herzen und unserem Kopf lässt uns wieder zur Besinnung zu gelangen. Wir brauchen sie unbedingt, um wieder zu Kräften zu kommen.


Wir alle haben zwei Stimmen. Die Stimme unseres Herzens und die Stimme unseres Verstandes. Durch Stille verstummt irgendwann die Stimme unseres Verstandes und lässt dem Herzen seinen rechtmässigen Platz. Und irgendwann verstummt auch die Stimme unseres Herzens, weil wir darauf gehört haben. Dann bleibt viel Zeit, um die Natur, die Umgebung zu fühlen. Es kann sich sehr einsam anfühlen durch Wälder zu gehen und plötzlich verstummt die innere Stimme. Wie aus dem nichts wird man erschlagen von der Kraft der Welt.


Plötzlich bist du vollkommen allein und doch eins mit der Natur.

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