«Ein einziger Morgen»
Bild/Illu/Video: Christian Imhof

«Ein einziger Morgen»

Vogelgezwitscher weckte mich. Drehte mich noch einige Male im Bett hin und her, entschied mich noch eine Weile liegenzubleiben. Es schien ein schöner Tag zu werden. Über Nacht war Schnee gefallen. In der kalten Morgenluft sah ich so manchen Schornstein der durch das Fenster sichtbaren Häuser rauchen. Jetzt wird eingeheizt. Was uns sosehr von der Natur entfremdet hatte, brachte uns jetzt zu ihr zurück. Ihre Wildheit und Mystik hat für uns einen grösseren Antrieb als der immer gleiche trist-graue Alltag in einem Büro oder auf einer stinkigen Baustelle. Wir alle werden mir der Überzeugung grossgezogen, dass Arbeit das höchste und wichtigste in unserem Leben ist.


Arbeit unterdrückt. Arbeit zwingt den Menschen eine Hierarchie auf, wo wir doch alle gleichgestellt sind. Arbeit fördert die Ungleichheit in unserer Gesellschaft. Die einen verdienen viel Geld mit Nichtstun, andere krüppeln tagein tagaus, um ein wenig davon zu erhalten. Dies resultiert darin, dass manche von uns alles haben können, was sie sich bloss wünschen. Andere wiederum frieren in Winters Kälte und hungern, weil sie nicht zu essen haben. Arbeit ist des Teufels Werk. Müssiggang eine Tugend, von einer Göttlichkeit durchdrungen wie nichts Anderes in dieser Welt. Nichtstun, auf der faulen Haut liegen. Es ist schon interessant, wie Faulheit verteufelt wird von unserer Gesellschaft. Faul sein ist heutzutage etwas Schlechtes. Ich sehe das anders.


Hat man nichts zu tun oder will man nichts tun, hat man plötzlich ganz viel Zeit, um nachzudenken und den Gedanken nachzuhängen. Arbeit bringt die Menschen um ihren Verstand.


Wie ich so dalag und diesen Gedanken nachhing, wurde mir bewusst, dass ich verschlafen hatte und den Bus verpassen würde. Es interessierte mich nicht. Ich blieb noch eine Stunde liegen, fuhr dann zur Arbeit. Ich wurde sogleich ins Büro des Chefs zitiert und erhielt prompt die Kündigung.


Maloney würde jetzt sagen: So geht das!

Themenverwandte Artikel

«Der Mitbewohner»
Bild/Illu/Video: Unsplash

«Der Mitbewohner»

«Ein Jahr - 52 Novellen» im Rückblick
Bild/Illu/Video: zVg

«Ein Jahr - 52 Novellen» im Rückblick

Empfohlene Artikel