Der wahre Gewinn ist das Miteinander
In Jenins wurde schon in den 60er-Jahren Lotto gespielt. Am 6. Juni 1966 war es
endlich soweit und einer Person aus der Gemeinde in der Bündner Herrschaft
gelang es, alle sechs Zahlen richtig zu anzukreuzen. So stand es zumindest in
der Zeitung.
Geldsegen für alle
Mit dem grossen Geld wächst zumeist auch der Freundschaftskreis exponentiell.
Da im Dorf ja jeder jeden kennt, macht sich die Hauptfigur Charly (Markus
Johanni) gemeinsam mit seinem Kollegen Willy (Phillipp Affentranger) auf, um
den Glückspilzen in den eigenen Reihen ausfindig zu machen. Charly packt der
Eifer und er lädt ganz Jenins in die Bündte ein, um mit Argusaugen zu
beobachten, wer sich denn nun als Neoreicher durch frisch erworbene
Luxusgegenstände verrät. Wie sich herausstellt, ist der Lottogewinner Karl
nicht am Apéro erschienen, weil diesem nach dem Realisieren seines Gewinns
prompt das Herz stehengeblieben ist. Um die fast 17 Millionen Franken im Dorf
zu behalten, muss rasch für die Lottogesellschaft aus Zürich ein neuer Plan
her, welcher Willy zum «neuen» Karl macht. Da spielt natürlich auch das ganze
Dorf mit, da es doch auch für alle Jeninserinnen und Jeninser ein beachtliches
Sümmchen gibt.
Vom Schweinehirt zum Familienmensch
Die sehr kurzweilige Geschichte «Lottofieber» porträtiert die grossen Träume
der kleinen Leute und lässt zwischen den Zeilen eine wunderbare Tiefgründigkeit
vernehmen. Zum Beispiel die Dialoge zwischen dem Mädchen Debbie (Sereina Fuchs)
und dem Dorfpfarrer (Martin Krummen) sind eindrücklich zu Papier gebracht und
es ist schon recht amüsant zu sehen, wie philosophisch die 12-Jährige ihren
Gedanken Ausdruck verleiht, obwohl dies doch eigentlich eher der Beruf von
ihrem geistlichen Kollegen ist. Im Allgemeinen sind es die Duokonstellationen,
die in diesem Stück bestechend sind und einem hin und wieder hinterfragen
lassen, ob hier wirklich nur Laiendarsteller: innen am Werk sind. Die Freunde
Charly und Willy erinnerten mich hin und wieder an eine Mischung aus Laurel und
Hardy oder an die beiden Protagonisten aus «Dumm und Dümmer». Die ungeheure
Chemie auf der Bühne und ein wahres Pointen-Feuerwerk liessen darauf hoffen,
dass die beiden Figuren sich doch bitte nochmals ein Gläschen Rotwein zu Gemüte
führen mögen, da es in solchen Momenten gleich nochmals einen Zacken witziger
wurde. Neben der philosophischen und der humorvollen Paarung gab es eine
Kombination, welche es schaffte, die Mehrzweckhalle Jenins mit Romantik zu
füllen: Der Schweinehirt (Andreas Heldstab) und die alleinerziehende Mutter
Maria (Valentina Parolini). Dem Werben um seine Traumfrau stand einzig der
Schweinegeruch im Weg. Doch dank ein paar Fruchtseifen sah die Welt schon
wieder anders aus und anhand ihrer Geschichte wird dem Publikum bei diesem
Stück die wichtige Botschaft mit auf den Weg gegeben, dass eine glückliche
Familie eben doch mehr Wert ist, als grosser Reichtum.
Die Theatergruppe Jenins weiss, dass sie in Zeiten von Streaminganbietern und der nachhallenden Schwellenangst der Theaterbesucher, welche Corona verursacht hat, mehr bieten muss als eine lustige Geschichte, um die Leute in der Region von den Sofas zu locken. Die Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten aus diesem Grund neben echten Emotionen, passender musikalischer Untermalung und einer gewissen Lokalitätsromantik auch mit einem Projektor, der rasche Situationswechsel zulässt. Dass ihnen das Stück wirklich sehr am Herzen liegt, zeigen die kleinen Zwischensequenzen, in denen alle auf der Bühne mitanpacken. So schaffen sie es dem Publikum langwierige Umbaupausen zu ersparen und zeigen zugleich, dass das Handwerk der Schauspielerei auf den Dorfbühnen eine Zukunft hat. Bedeutend mehr Karten sind im Vorverkauf dieses Jahr abgesetzt worden, was zeigt, dass der Zusammenhalt und das Miteinander im Dorf nicht nur im Theaterstück sondern auch im echten Leben zum Erfolg führen kann. Lottofieber wird noch am 26. November 2022 in der Mehrzweckhalle Jenins, jeweils am Freitag, Samstag und Sonntag aufgeführt. Ein Besuch kann ich Ihnen herzlich empfehlen.