Blues- und Rock Openair Bühler - Ein Erfahrungsbericht
Schon letztes Jahr war ich sehr positiv überrascht, ein so toll organisiertes kleines Openair - das Rechtschreibeprogramm behauptet übrigens, es heisse Open Air - mit qualitativ sehr guter Musik anzutreffen.
Damals war ich von Werner Gmünder, selbst Mitglied und Hoffotograf des BluesClubs Bühler, an einem anderen Festival eingeladen worden, um einen Bericht über diesen Event zu verfassen. Da ich keinen Eintritt bezahlen musste und sogar noch einen Essensbon bekam, war ich natürlich von Anfang an positiv gestimmt und diese Stimmung hielt auch die ganze Zeit an.
Diesmal hatte er mich per Facebook Messenger eingeladen. Sogar zweimal! Und dann noch persönlich an der Blues-Night in Gossau, wo ich früher auch schon zwei bis drei Mal auf der Bühne stand. (By the way: Alle, die an beiden Events waren, waren sich restlos einig: Bühler ist einfach um Klassen toller.) Selbstverständlich wollte ich diese Gelegenheit dankbar wahrnehmen.
Obwohl ich etwa 30 Stunden durchgearbeitet hatte, freute ich mich auf den Event, war aber noch etwas unsicher, ob ich lange bleiben würde.
Problemlos fand ich einen Parkplatz mithilfe der Platzanweiser. Sicherheitshalber hatte ich heute auch meine Luftmatratze im Maxomobil verstaut, um ein paar Stunden im Auto zu schlafen, falls ich zu müde zum Heimfahren sein würde.
Erneut wackelte ich die Strasse zum Event runter. Beim Eingang wurde mir von sehr netten Damen freundlich mein Gratis-Ticket ausgehändigt. Sie kannten mich sogar noch, und ich wurde gefragt, ob ich diesmal keine Ohrenschmerzen hätte. Ich konnte mich erst nicht mehr daran erinnern, bis ich meinen Bericht vom letzten Mal las.
Das Wetter war toll, die Sonne brannte, als gäbe es kein Morgen, abwechslungsweise brachten Wolken wieder angenehmen Schatten. Die Bierverkäufe würden heute wohl Rekorde erzielen.
Sehr sympathisch und einladend standen wieder links und rechts des Weges Zeltpavillons mit allerlei verschiedenen Food- und Getränkeständen und hölzernen Festbankgarnituren. Ich finde das einfach sehr gut geplant, dass das durchschnittlich «mittelalterliche» Publikum genügend Sitzgelegenheiten zur Verfügung hat - sofern es genug früh ist. Die eher - gnädig gesagt - etwas gesetzteren Herrschaften wie ich, nicht selten mit traditioneller Wohlstandswampe bestückt, hüpfen nicht mehr so gerne stundenlang in der prallen Sonne vor der Bühne herum, wo übrigens schon die erste Band spielte, als ich noch etwas halbwach schon auf der Hälfte des Weges zur Bühne einen Marschhalt einlegte.
Alte Bekannte waren wieder en Masse anwesend, und kaum hatte ich mich gesetzt, stand auch schon ein offerierter Becher herrlich kalten Hopfentees vor mir. Ehrlich gesagt: Ich trinke aus diesen Wegwerfbechern viel lieber, als aus jenen mit Depot, wie es sie sonst überall gibt.
Es existieren auch vernünftige Studien, die zeigen, dass der Umwelt mit diesen Recyclingbechern überhaupt kein Gefallen getan ist, sofern die Wegwerfbecher dann nicht im Meer landen, was sie hier garantiert nicht taten.
Dazu kommt, dass sich die dicken Depotbecher warm in der Hand anfühlen, der ganze "Taste"(engl.), das Mundgefühl, wird einfach anders. Häufig werden sie an diesen Festivals ja dann auch einfach in irgendeiner Wanne hinter dem Stand zusammen mit hundert anderen in einer Dreckbrühe kurz ausgespült... Pfui Daibel!
Die Jetons, die man meistens zum Beispiel in St. Gallen an solchen Freiluftanlässen braucht, verliert man in der Regel sowieso spätestens nach dem dritten Bier und häufig landen die Mehrwegbecher dann trotzdem im Müll. Viel länger dauert es auch noch und das Personal muss auch fix rechnen können, was häufig ja nicht der Fall ist.
Ich plädiere für Plastikbecher und die Jungs von der Verbrennungsanlage sind auch froh, genügend Brennbares zu haben, um nicht noch zusätzliche Energie einspeisen zu müssen, damit es verbrennt.
Viel lieber also einen Wegwerfbecher. Im Bühler liegen die bemerkenswerterweise nachher auch nicht auf dem Boden herum, da das Publikum einfach generell anständig sozialisiert ist. Der Müll wird in eine der vielen blauen Tonnen geschmissen und häufig auch von den vielen Abräumern entsorgt.
Auch hier wieder ein riesiges Lob an den Bluesclub: Alle, die dort arbeiten, sind Mitglieder oder Verwandte des Bluesclubs. Sie ziehen restlos alle an einem Strick, und auch der Chef geht zwischendurch die Klos putzen, wie mir gesagt wurde. Alle sind sehr freundlich, offen und aufmerksam. Am ganzen Abend musste ich auf mein Getränk warten. Hohe Schule!
Wo wir schon dabei sind: Auch das Zahlungsmittel, die Methode mit den Wertbons, die man am Eingang und bei der Bühne in Zehnereinheiten gegen echtes Geld tauschen kann, hat sehr viele Vorteile. Das Personal an den Ständen streicht einfach je ein Feld für einen Franken durch.
Ich mäanderte weiter und grüsste überall Bekannte.
Es war aber noch nicht voll, ich auch noch nicht, und überall fand man bequem Platz.
Auf Anhieb gefiel mir wieder das hiesige Publikum. Zum hundertsten Mal fragte ich mich, wo sich all diese Althippies, Flower-Power Ladys, Musiker und die üblichen Verdächtigen eigentlich sonst herumtrieben. Auch typische Rocker sassen grimmig und gefährlich aussehend, aber aus eigener Erfahrung meistens mit butterweichem Herz, vor ihren Bieren. Dazwischen spielende Kinder mit ihren Eltern oder Grosseltern, Familien aus allen Schichten und jeglichen Alters, vom Direktor bis zum Sozialfall, von Jung bis Alt, von traditionellen Appenzellern zu gealterten Esohysterikerinnen: Hier mischte sich wieder alles und jegliche Kastensysteme werden mit einem Kasten Bier aufgelöst.
Don P & the Blues Jags
Am Ende der Strasse stand die Bühne, von welcher gut abgemischt aus den Line Arrays Don P und seine Jungs rockten. Manchmal stand im Internet Jays, machmal Jags ... Jags heisst eigentlich Zacken, jagged aber auch ausgefranst, betrunken. Was der Name genau heisst, konnte ich nicht herausfinden.
Vielleicht ist «Blue Jays» ja ein Wortspiel, ähnlich Dee Jays. Don P. ist da einfacher. Don ist halt einfach der Boss der Crew, ob es jetzt ein Mafiapate, ein Gemeindepfarrer oder nur ein Herr ist, und P. ist einfach die Abkürzung des Vornamens des talentierten Luzerner Gitarristen, Songwriters und Sängers.
Herr Meier lieferte jedenfalls eine druckvolle Show. Seine blues-rockigen Riffs trieben die recht kompakte Band voran. Sie spielten eine Mischung aus klassischem Blues und modernen Einflüssen, die das Publikum recht schnell zum Tanzen, Klatschen und Mitsingen brachte.
Der Pate hatte eine unglaubliche Bühnenpräsenz. Obwohl ich noch nie ein grosser Fan von immer gleich klingenden und austauschbaren Bluesguitarsolos war, würgte der Don seine Gitarre ziemlich virtuos, was tatsächlich an Stevie Ray Vaughn erinnerte, wie einige meiner Vorgänger bereits schrieben. Die anderen Mitglieder der Band waren ebenfalls mitreissend und spielten mit viel Leidenschaft und Energie.
Ein Highlight des Konzerts war für mich, als die Band zum Beispiel «They call me mister Mojo» in mitreissendem Tempo groovte. Das Publikum sang lautstark und tanzte häufig mit, jeder auf seine eigene Weise.
Mir gefiel auch die Abwechslung, und beim letzten Stück gab es sogar fast gospelartige Acapella-Einwürfe zum Mitsingen. Just great. Eine wunderbare Eröffnung und meine Müdigkeit waren wie weggeblasen.
Jörg Danielsen
Vorher schon hatte ich recherchiert, dass die Band bei der «European Blueschallenge» 2023 Österreich vertrat. Ich wusste zwar nicht, ob das jetzt eine besondere Leistung war, ob da ein Rating voranging. Justina Lee Brown, welche die Swiss Blues Challenge gewonnen hatte, wurde 2019 Zweitplatzierte.
Jörg Danielsen ist geprägt vom Blues der 60er bis hin zu den 90ern und deckte eine abwechslungsreiche Stilpalette ab. Ihre Spielfreude und Energie auf der Bühne sowie die dadurch resultierenden freien Jam-Passagen liessen auch mein Zuhörerherz höherschlagen. Nichts Langweiligeres als Bands, die alles immer genau gleich herunterspulen, meiner Meinung nach. Der Vorteil an einem Trio ist ja natürlich auch, dass man einfacher improvisieren kann als mit einer Big Band. Ein sympathisches Trio, auch vom Äusserlichen, finde ich. Der Frontmann, mit Hut, graumeliertem Bart und Latzhose war auch bis zum Schluss noch im Publikum anzutreffen. Ein nahbarer Star, also.
Zwischendurch sprang der Wiener auch von der Bühne und tanzte solierend durch die Reihen.
Auch seine Stimme klangt angenehm, die Band ist top aufeinander eingespielt und harmoniert mit grosser Lässigkeit durch verschiedenste Stilrichtungen und musikalischer Ohrenöffner.
The Blues Bones
Der Aufbau und Soundcheck des belgischen Quintetts dauerte etwas länger, da der Keyboarder eine echte Hammond inklusive Leslieturm dabei hatte, neben einem Nord Stage. Ich bin ja Hammond Fan, und schon beim Einstellen hörte man, dass man es hier, wie auch mit allen anderen, mit einem versierten Spieler zu tun hatte. Das Schwergewicht der Show lag klar auf dem Sänger, der im Gegensatz zu allen fast allen anderen, ausser Luis, am Schluss, an diesem Abend ausschliesslich sang, sich also ausschliesslich darauf konzentrieren konnte, was er auch hörbar tat. Manchmal röhrte er, dass ich dachte, da stünde ein Joe Cocker im Körper von Pavarotti, manchmal seidenweich wie ein Seal und dann hörte ich das abgefrackte Organ eines Tom Waits. Sensationell.
Wenn ich Witze über ein paar überflüssige Pfunde mache, möchte ich das keinesfalls in irgendeiner Art und Weise abwertend tun, denn wer mich schon gesehen hat, weiss, dass ich weiss, wovon ich hier spreche, lach. Vielleicht nennen sie sich ja auch deshalb ironischerweise Bones, also Knochen. Ich erinnere mich noch ganz gut an meinen Aufenthalt in Belgien, in Brügge, wo man beim Flanieren kaum den vielen Frittierständen widerstehen konnte. So ein frittierter Kamelfuss, sie sahen jedenfalls so aus, passte hervorragend zu den über 200 wirklich unterschiedlichen Biersorten, ist aber halt für Weight Watchers nicht gerade die ideale Ernährungsform.
Vielleicht liegt die Schwere bei ihnen ja auch, wie zum Teil bei mir, an den Coronamassnahmen, wo man mehr oder weniger eingesperrt und als Musiker zum Nichtstun verdonnert worden war. Werner erzählte mir, dass sie eigentlich vor drei Jahren schon kommen wollten, dann vor zwei Jahren, wie ich selbst auch, mit pseudowissenschaftlichem, totalitärem Irrsinn zum Stubenhocken verdammt waren. Die massiven Folgeschäden all dieses unmenschlichen Vorgehens zum angeblichen Schutz der Bevölkerung sind noch gar nicht abzuschätzen, werden aber immer häufiger sichtbar. Gott sei Dank waren diese Knochen heute nicht zu Hause geblieben und haben sicher, wie auch ich, nur durch den Wasserverlust durch Schwitzen massiv an Gewicht verloren, wäre der nicht, wie in meinem Falle, durch frisch gezapfte Flüssigkeiten mit wunderbar sprudelndem bösen Co2 in bösen Wegwerfbechern mehr als ersetzt worden.
Häufig, vielleicht manchmal ein bisschen zu häufig versuchte es die Band auch mit ganz leisen Stücken, welche sie über sehr lange Strecken bewusst an der Grenze zum überhaupt Hörbaren hielten, um dann mit voller Dynamik das ganze Frequenzspektrum abzudecken.
Nicht immer, aber absolut erwartbar, wurde das Publikum derweil nicht leiser, sondern nutzte, wie überall, die leisen Parts, um mit den Nachbarn zu plappern. Ich selbst fand ja schon lange für mich heraus, dass zu lange leise Stücke selbst beim aufmerksamsten Open Air Publikum zu vermeiden sind - wobei dieses mit grosser Sicherheit zu den aufmerksamsten gehörte, die ich bisher erlebt hatte. Eine 73 Jahre alte Freundin, welche 15 Jahre lang fast überall auf der Welt war, nur nicht in der Schweiz, die ich vor der Bühne getroffen hatte, bat mich, nach einem kurzen und erfreuten Wiederbegegnungstalk, später mit ihr weiterzusprechen, - sie wolle die Band ungestört geniessen, was auch mir immer lieber ist.
Vielleicht zwischendurch ein paar Worte zum Nachbarn, aber nicht nur plappern vor der Bühne, wie es viele Junge heute an anderen Festivals tun. Das ist einfach auch für die Künstler nicht angenehm und auch ein wenig respektlos. Auf den weiter entfernten Sitzplätzen ist das natürlich wiederum kein Problem. Vielleicht kann man mit Fug und Recht behaupten, dass dieses Publikum hier vor der Bühne insgesamt bewusster als so der Schnitt war.
Alt-Hippies, häufig mittlerweile Grossmütter, können einfach auch Musik mit geschlossenen Augen und diesen typischen weichen Bewegungen im Takt geniessen und sich voll darauf einlassen, wenn es denn gefällt. Wunderbar. Ich primitiver Trampel stehe ja da eher meistens mit einem kalten Getränk an einem Tischchen oder an einer Bar. An diesem Tag war ich allerdings für meine Begriffe doch recht mobil und setzte mich zwischendurch wieder alleine hin, bekam wieder neue interessante Nachbarn, wanderte wieder weiter, traf wieder alte Gesichter... Ich mag es einfach auch, wenn ich mich bewegen kann, ohne mich durchs dichtgedrängte Publikum quetschen zu müssen, obwohl sich der Platz mittlerweile gut gefüllt, aber nicht überfüllt, hatte.
Ich glaube, mich zu erinnern, dass die Blues Bones praktisch nur eigene Songs spielten, die in meinen Augen, äh, Ohren, sehr zeitgemäss arrangiert waren.
Am besten beim Publikum kamen wohl die teilweise explosiven rockigen Riffs an.
Edi Fenzl Band
Wie der eingängige Name schon ahnen liess, stammte dieses Trio wieder aus Österreich, Edi laut Presse aus der Hauptstadt. Neben authentischem Blues-Rock klangen manche Klänge auch nach New-Country. Der Presse entnahm ich, dass auch er als Finalist an den European Blues Challenge teilgenommen hatte, allerdings schon 2014 in Riga. Auch in Amerika hätte die Band schon gespielt, hatte ich vorgängig gelesen. Mir gefiel ihr grooviger Stil sehr gut, und auch hier hörte ich Tendenzen zu Stevie Ray Vaughn. Das Publikum war parat, auch wenn die meisten, aber nur bei genauem Hingucken, ein wenig mäanderten. Wer schwankt, hat schliesslich mehr vom Weg. Auch ich war bester Laune, hatte ich doch lange Zeit an einem bequemen Stehplatz am Bierstand vor der Bühne verbracht. Auch hier kam ich sofort ins Gespräch mit den hiesigen Eingeborenen. Von einem grossgewachsenem Zimmermann aus dem Nachbardorf, der auch mir ein Bier offerierte, erfuhr ich unter anderem, dass Ausserrhoder nicht «zäuerlen» würden, das täte man nur in AI. Hier nenne man das «Rugguusseli». Ansonsten spiele er aber kein Instrument. Aber «rugguusselen» könnten die meisten Einheimischen.
Auch mit der fleissigen und fachlich begabten, servilen Mannschaft hinter der Bar konnte man entspannt diskutieren und witzeln. Ein Bier kostete 5 Striche auf dem Wertschein, der entweder 10, 20 oder 40 Felder enthielt. Auf meinem waren noch 5 nicht durchgestrichen, doch ich wollte einen Saft trinken und der kostete 6.-, also hatte ich genau einen Strich zu wenig. Enzler, einer der Bartender mit flinkem Witz, sagte überraschenderweise, als ich einen neuen Wertegutschein holen wollte: «Scho guet, scho guet...» Danke! Es war hier einfach etwas anderes, als auf all diesen obergeldgeilen Kinderfestivals.
Bons musste ich aber trotzdem einlösen gehen, denn ich wollte ja auch noch etwas essen. Der Stand hatte mich schon die ganze Zeit angemacht. Doch bei mir ist es so: Wenn ich zu früh etwas esse, werde ich müde... Häufig verpasste ich dann aber wiederum die letzte Gelegenheit. Darum fragte ich etwa um zehn oder so einfach freundlich die adretten Bedienungen am Grillstand, ob, falls sie früher aufräumen wollten, mir nicht bitte einen Hamburger aufbewahren könnten. Auch das war hier kein Problem. Man versuche das einmal an einem OASG...
In der Zwischenzeit hatte ich einen alten Gitarristen und Freund wieder getroffen, der das Festival auch als eines der lässigsten überhaupt bezeichnete. Und auch er selbst hatte schon auf vielen Bühnen rund um die Welt gestanden. Sogar sein Sohn hatte hervorragend bei meiner eigenen Band Gitarre gespielt, jedenfalls, bis er mit der Frau des Drummers durchgebrannt ist, doch das ist heute alles natürlich vergeben und vergessen und alle können herzhaft darüber lachen. Mit seinem Vater, der jetzt eben neben mir stand, hatte ich auch häufig gejammt, und auch er vermisste die guten alten Zeiten, wo es in St. Gallen an der Kräzernstrasse noch den verrauchten Blueskeller gab, wo sich Musiker jeglicher Couleur und Fortschrittsstadium zusammen mit den Bluesfans, von welchen eben jetzt viele hier anzutreffen waren, einfanden. Wenn jemand sowas wieder auferstehen lassen möchte, in St. Gallen, wären wir alle sicher wieder mit dabei. Aber eben: Es ist ja heutzutage alles anders, und darum war vielleicht dieses Blues-Rock-Openair auch für unsereins so wertvoll: Es rief nostalgische, vertraute Gefühle hervor. Kein Mimimi, wenn jemand neben einem raucht, kein Etepetete-Getue, kein Zickenalarm, keine Klimajugend, kein Littering, keine Abzocke. Die Hälfte kannte man schon, die andere Häflte wollte man kennenlernen, und ich hatte sehr viele bereichernde, vernünftige Diskussionen mit eben «normalgebliebenen» Menschen aller Art.
DAS hier ist gelebte Toleranz. Ich sah keine einzige Schlägerei, niemand schrie herum, ausser die Sänger auf der Bühne, was ja deren Job ist, oder wenn einer versuchte, mitzusingen; wenn einer torkelte, machte er es diskret, heulte nicht lang' rum, seine Kollegen bestellten nicht gleich die Rega, und die konsumierten Hauptdrogen bestanden wahrscheinlich traditionellerweise aus sehr versteckt gerauchtem, biologisch gezüchtetem Futterhanf (gesehen habe ich niemanden, nur manchmal gerochen) und Hopfensmoothies. Die beiden, fast bemitleidenswerten Security-Männer, welche ich auch schon länger kannte, gutmütige Typen, waren die ganze Zeit dermassen arbeitslos, dass ich sie mehrmals fragte, ob ich eine Schlägerei oder so anzetteln solle, damit sie etwas zu tun hätten.
Novoid
Eine Überraschung, sie hier anzutreffen, waren für mich die Jungs von Novoid, bei welchen ich schon in Buchs bei einem Konzert war, wo sie als Vorgruppe von Shakra fungierten. Hier findet sich auch der damalige Konzertbericht, der einige Wellen nach sich zog, aber eher, weil in meinem ehrlichen Report die Hauptband nicht ganz so exzellent wie die Vorgruppe wegkam, lach.
Nun standen sie wieder auf der Bühne: Selbstbewusster, doch immer noch mit dem Outfit von Roger Cicero, vor allem der charismatische Sänger, Luis Dominguez, der zum weissen Hemd mit Kravatte noch einen Hut trug.
Noch immer spielten sie, für mich speziell erfreulich, eine eigenständige Mischung zwischen Rock und Hardrock, noch routinierter und auch mit viel, vielleicht manchmal sogar ein wenig überbordender Selbstinszenierung. Vielleicht noch ein wenig eingeübt wirkend konnte sich aber die wahrscheinlich minutiös geprobte Bühnenshow auf jeden Fall sehen lassen. Noch. Und auch nur manchmal. Das wird von mal zu Mal freier und natürlicher. Diese Band wäre sicher super auf einer grossen Bühne, wo diese jungen Männer sicher gut hinpassen würden. Zwischen wirklich gut und spannend gemachten eigenen Songs liessen sie auch bekannte Coverversionen, teils auf eigene Art interpretiert, einfliessen. Die Arrangements wechselten sich meistens spannend ab, und es gab auch immer wieder Soloparts, Publikumsanimationen und dergleichen.
Die Hauptlast der Solos lag natürlich auf dem Leadgitarristen und Songschreiber, was er auch teilweise extensiv auskostete.
Gut gespielt hat er jedenfalls, der Phil, und auch immer Vollgas gegeben, während sich Luis bei den Solos der andere manchmal wie letztes Mal mit einem Tamburin aus dem Rampenlicht zurückzog, um nicht die Aufmerksamkeit zu stehlen. Auch eine gute Show abliefernd sah man zur linken den soliden Bassisten Beni Krause, der sehr sauber und immer noch recht subbassig mit dem Power-Drummer Simon Wagner die Grooves auf die Bretter nagelte, - ich hoffe, er heisst Simon, jedenfalls steht das auf der Homepage, aber so genau habe ich es von der Ferne um diese Zeit auch nicht mehr gesehen. Das Publikum war diesmal deutlich zahlreicher um diese Zeit als letztes Mal und hatte bei dieser Band kaum Zeit, sich müde zu fühlen. Es bewegte sich jedenfalls aufmerksam zu den Rocktunes. Ich denke, es waren zu diesem Zeitpunkt ziemlich alle auf dem Platz ein klein wenig angenehm angeheitert.
Der Gesamtmix gefiel mir den ganzen Tag sehr gut, er war nie zu laut, nie zu leise, sogar die Hammond der Belgier hatte der Mischer gut im Griff, was gar nicht so einfach ist.
Aber, wenn ich trotzdem nur eine klitzekleine Kritik üben dürfte: Nach mir war der Gesang insgesamt etwas zu mittig. Und bei Novoid war die Lead-Gitarre schon recht grell für meine Lauscherchen, während die des anderen Gitarristen, Till Stieger, sehr nach meinem Geschmack war, und das nicht nur vom Klang her. Er spielte rhythmisch auch sehr tight und treibend und die Gitarreros spielten einander schön in die Lücken.
Aber, bitte versteht mich nicht falsch: Viele, und auch ich, fanden den Auftritt Klasse. Wenn ich hier kritisiere, ist das auf sehr hohem Niveau geklagt, und ich möchte das als aufbauende Kritik verstanden wissen. Es waren wirklich nur kleine Details, die noch Verbesserungspotential hätten, und das auch nur meiner Meinung nach.
Da wäre zum einen, dass Luis, aber auch Phil, manche der höchsten Töne nicht mehr ganz so sauber trafen wie letztes Mal, als sie Vorgruppe waren. Ich kann das durchaus nachvollziehen, wenn man so lange warten muss, bis man drankommt, und dann am Schluss noch Vollgas geben muss.
Da es recht sauber und trocken gemischt war und fast keine kaschierenden Effekte benutzt wurden, hörte man so natürlich viel mehr solche Kleinigkeiten heraus. Also, ich glaubte es zu hören, meine Freunde um mich herum nicht. Mit ein wenig mehr Effekten wie Hall und Delay verschwimmen die Töne zu diesem wabernden Gesamtklang, was bei diesen teilweise fast sogar ein bisschen psychedelischen Nummern diese typischen Schwebegefühle auslöst. Althippies und Altrocker brauchten jedenfalls früher Hall und Echo, um richtig zu fliegen. Auch bei dieser Nummer von Black Sabbath, wo zwischendurch fast nichts läuft, gehörte nach mir ein riesiger Raum dazwischen. Es hatte schon, einfach zu spärlich, nach meinem bescheidenen Geschmack. Ich könnte mir gut vorstellen, dass das die Jungs selbst so wollten, wie mir ein Bluesclubmitarbeiter gesagt hatte.
(Das wollte ich auch immer, früher, denn besser kein Hall als einen schlechten oder an der falschen Stelle, wenn alles nur noch ein Mus ist. Später auf grösseren Bühnen übernahm ich selbst von der Bühne aus halt die Halleffekte für den Gesang bei einigen speziellen Songs, denn wenn man nicht den eigenen Mischer dabeihat, der alle Songs genau kennt, geht das meistens sowieso nicht gut, auf die Schnelle «Specialeffects» einzusetzen.)
So, nun aber genug auf Oberlehrer gemacht: Dafür waren die Bandmitglieder diesmal bedeutend selbstbewusster und legten viel mehr Rockattitüde, die zu einer Rockband einfach gehört, an den Tag, beziehungsweise an die Nacht. Diese «Scheissegal»-Haltung, dieses freche Rotzige war an diesem Abend um einiges mehr zu spüren und das deutlich ältere Publikum war begeistert. Gute Arbeit, Burschen!
Fazit:
Insgesamt kann ich besten Gewissens sagen: Dieses Festival gefiel mir erneut von A-Z, vom Line-Up, von der Bedienung und der Organisation, vom Platz, vom Mix und vom Publikum her, also kurz gesagt von allem her und wird sicherlich nicht nur mir ein unvergessliches Erlebnis bleiben.
Bluesclub Büehler: Alles geili Sieche, schalalaalalaaa ....
Herzlichen Dank für die Einladung!