Bernard Bishop und die Veränderung des Seins
Bernard Bishop sprach gerne mit sich selbst. Also erzählte er sich, von seinem vergangenen Selbst, welches einmal ein kräftiger, junger Mann war. Die Leute schilderten die Herren in seinem damaligen Alter als «voll im Saft» stehend.
Bernard Bishop stand voll im Saft, aber das war ihm unbedeutend, wenn es darum ging, sich vermehren zu müssen.
Er hatte ein Buch gelesen. Es war ihm in der staubigen Bücherei sofort ins Auge gefallen, denn dessen Farbe war knallrot. Darauf hockte ein winziger Buddha auf einer Lotusblüte, eine Hand in den Schoss gelegt.
«Wie hiess das Buch nochmal?» Jetzt stützte er sein bärtiges Kinn in die Pranke, doch der Titel des Buches war aus seinem Gedächtnis verschwunden. Bernard zuckte seine Schultern.
Der Buchhändler hatte mit hochgezogenen Brauen gesagt, dass das ein ganz besonderes Buch sei.
«Es wird ihr Leben verändern», hatte ihm der Buchhändler in der staubigen Buchhandlung ins Ohr geflüstert, während er links und rechts zusah, dass niemand mithörte. Als wäre das ein riesengrosses Geheimnis gewesen.
«Eines schönen Tages ging ich spazieren. Die Sonne schien mir ins Gesicht. Ich setzte mich auf die nächste freie Bank und fing an, im roten Buch mit dem Buddha zu lesen. Gespannt wie ein Regenschirm…ja das war ich. Der Buchhändler ging mir nicht aus dem Kopf. Das, was er gesagt hatte.»
Bernard Bishop schmunzelte und schaukelte beim Gedanken daran in seinem Schaukelstuhl, vor dem brennenden Kamin.
«Es ging um Meditation. Das war etwas, was ich vorher noch nie gehört hatte. Meditation. Was sollte das sein? Bis dort war ich im Grossen und Ganzen zufrieden mit meinem Leben. Ich war ein aufbrausender Mensch, ja manchmal vielleicht ein bisschen zu harsch. Ich sagte stets was ich dachte, sprach meine Wahrheit aus. Wem das nicht passte, der konnte gehen. Ich weiss nicht ob es daran lag, jedenfalls stand ich statt im Saft, eher in der Wüste. Damals war ich schon dreissig und ich war der einzig unverheiratete Mann meiner Kollegen. Das gab mir schon zu denken. Ich regte mich über Kleinigkeiten auf, konnte aus einer Maus einen Elefanten machen.
Aber vor allem hatte ich Angst. Angst vor der Zukunft, diese stetigen Veränderungen. Wie konnte ich so meine Ruhe finden?» Bernard Bishop lachte.
«Damals wusste ich es nicht. Wie aufgeschmissen ich doch war.»
Das Buch hingegen hatte Bernard nicht mehr losgelassen. Darin ging es nur um das Atmen. Einatmen, Ausatmen. Gedanken ausschalten. Es hatte ihn fasziniert und ehe er es sich versah, hatte Bernard Bishop das Meditieren erlernt. Anfangs war es ihm schwergefallen, doch mit der Zeit ging es immer besser.
«Gut war, dass ich schon als Kind immer eine lebhafte Disziplin an den Tag legte.»
Eines Tages hatte er sich gefühlt, als sei er ein anderer Mensch. Bernard war zu einem sehr zufriedener Menschen geworden. Auch ohne Frau. Er hatte seine Lebensumstände akzeptiert und alles, was ihm der Tag bereitet hatte. Er hatte gewusst, dass alles was geschah, einen Sinn hatte.
«…und dann, eines Tages traf ich diesen Mönch. Einen Asiaten. Er trug seine rote Kutte, und um den Bauch hatte er diesen schwarzen Gürtel. Er war noch viel zufriedener als ich es war. Der Mönch strahlte den ganzen Tag. Da kam ich mir plötzlich so klein vor. Eigentlich war ich doch auf der Höhe meines eigenen Selbst. Doch dieser Mönch war noch viel höher als ich.»
Zu Hause hatte er das rote Buch, das sein Leben verändert hatte, in eine Ecke geworfen. Entmutigt hatte er sich in seinem Schaukelstuhl verkrochen und wurde unzufrieden mit sich.
«Und so blieb es bis heute. Es war eine kurze Zeit, in der ich unverletzlich war. Ich wusste danach besser wer ich war, als ich es je getan hatte. Wie oft habe ich versucht, keine Angst zu haben, zuversichtlich zu sein, und voller Freude und Vertrauen in die Zukunft zu blicken. Aber es gelang mir nie mehr so, wie damals. Ständig wollte ich besser sein, mehr sein als ich war, so sein wie der Mönch.»
Bernard Bishop fragte sich, ob der meditierende Bernard vielleicht gar nicht er selbst gewesen sei. Hatte er sich nur verstellt? So getan, als sei er etwas Besseres, etwas Höheres?
Bernard Bishop gab seine Geschichte auf. Er trank den letzten Schluck aus seiner Tasse vor dem brennenden Kamin. Hinter ihm hörte er Schritte.
«Für mich musst du kein Mann im Saft sein, kein Mönch, du musst nicht meditieren, wenn du dich dazu aufraffen musst. Ich liebe dich, den aufbrausenden, disziplinierten Angsthasen, der du bist. Genauso, wie du bist.»
Warme Arme legten sich um Bernards Schultern. Seine Frau. Er musste schmunzeln.
«Wenn du jeden Tag versuchst, einen glücklichen Moment zu finden, in den Dingen die dich umgeben…dann hast du gewonnen.»
Manchmal richtet Gruppenzwang, das ständige «Besser-sein-wollen», den überdimensionalen Anspruch an sich selber, mehr Schaden als Nutzen an. Vor allem dann, wenn es jemanden gibt, der die Rohfassung deines Selbst liebt.